Serdar Somuncu: Prediger in Rockstar-Pose

Bösartige Comedy mit Bildungsauftrag ist das Kerngeschäft des Entertainers. Nun greift er zur Gitarre.

Serdar Somuncu: Prediger in Rockstar-Pose
Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Ein ungewohnter Anblick: Die Bühne der Kufa betritt Comedian Serdar Somuncu am Freitag mit Gitarre in der Hand und Band an der Seite. „Die Jungs kommen direkt aus Guantanamo, sie sind der Bodensatz der Gesellschaft, genau wie ihr auch“, sagt er zum Publikum — und alle lachen.

Wer für Somuncu bezahlt hat, bekommt Somuncu — und dazu gehören wüste Beleidigungen und Beschimpfungen gegen alles und jeden. Ob Hipster im Bioladen, Homo- oder Heterosexuelle, Türken oder Deutsche. „Jede Minderheit hat das Recht auf Diskriminierung, es muss nur flächendeckend sein“, sagt er.

Wer zurück pöbelt, dem nimmt Somuncu einfach das Handy ab, ruft dessen Freunden an und beleidigt sie im Namen des Besitzers. Zunächst protestiert der Mann aus dem Publikum noch, hinterher ist er froh, das Somuncu nicht die Nummer seines Chefs gefunden hat.

Serdar Somuncu war der „Hassprediger“, der Mann, der aus „Mein Kampf“ las und der Bild-Zeitung ein eigenes Bühnenprogramm widmete. Der politische Comedian mit dem selbst erteilten Bildungsauftrag hat sich ein großes Publikum erspielt. Als Sänger ist er dagegen bislang unauffällig geblieben. Die große Rockstar-Pose beherrscht er zwar, sie passt aber nicht zu dem untersetzten Mann mit Halbglatze und soll es auch gar nicht. Somuncu kann nicht nur andere vorführen, er zeigt auch jede Menge Selbstironie. Seine Songs führen sein Comedy-Konzept nahtlos fort. Das Repertoire reicht von Funk über Blues und Hip Hop bis zu Metal. Es gibt Lieder gegen Nazis, gegen Ex-Freundinnen, gegen Heidi Klum und sogar ein richtig schönes Liebeslied, das ganz ohne Boshaftigkeiten auskommt. Ist Somuncu etwa verliebt? Nein. „Das Stück ist 400 Jahre alt und stammt von William Shakespeare.“ Schade, dass die leisen Töne fast untergehen.

Nach der Pause dreht Somuncu den Spieß um. Die lustvollen Diskriminierungen und Beleidigungen, bei denen das Publikum vorher noch kräftig mitgelacht hat, werden enttarnt — Somuncu macht den 180-Grad-Schwenk. Zum Beispiel bei den vermeintlichen Sozialschmarotzern, die aus Rumänien und Bulgarien in deutsche Städte ziehen. Dass diese wie alle anderen Menschen ein Recht auf Leben in Würde und Wohlstand haben, sagt Somuncu. Und dass die wirklichen Sozialschmarotzer deutsche Unternehmen seien, die in diesen Ländern für einen Dumping-Lohn produzieren lassen.

Das Publikum bekommt auf böse und witzige Weise den Spiegel vor die Nase gehalten. Und dankt nach zwei Stunden mit viel Jubel für so viel Belehrung.

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