Wallach Prado scheut den Zahnarzt nicht

Dr. Paul grosse Hackmann hat seine Tierpraxis Auf der Kempener Platte 17. Mit seiner mobilen Praxis besucht er Pferde direkt vor Ort. Und: ja, grosse wird wirklich klein geschrieben. . .

Krefeld-Schicksbaum. Ganz entspannt steht Prado in seiner Box und nascht ab und zu genüsslich vom Heu. Der braune Wallach, elf Jahre alt, ahnt nicht, dass er gleich Besuch bekommt — und zwar vom Zahnarzt. „Auch Pferde müssen mindestens einmal jährlich zur Kontrolle“, sagt Angelika Jarren.

Prado gehört ihrer Tochter, vergangenes Jahr wurde ihm ein Backenzahn entfernt. „Pferdezähne wachsen ein Leben lang. Von daher muss man jetzt regelmäßig sein Gebiss prüfen, damit es durch die Lücke im Kiefer nicht zu Fehlstellungen oder Verletzungen kommt.“

Einige Minuten später fährt ein gelbes Auto auf den Hof. Es ist die mobile Praxis von Dr. Paul grosse Hackmann. Prado ist sein erster Patient an diesem Morgen. Der Fachtierarzt für Pferde erkundigt sich nach dem Befinden des Tiers, holt einen weißen Tisch aus dem Auto und klappt ihn auf.

Dann schafft er einen Korb herbei, der aussieht wie eine Werkzeugkiste. Der Inhalt: Instrumente, die Dr. grosse Hackmann für die Untersuchung und Behandlung braucht. Einige von ihnen wecken Erinnerungen an den eigenen letzten Zahnarzt-Besuch — auch wenn sie natürlich ein ganzes Stück größer sind.

Prado bleibt ganz die Ruhe selbst, auch als er sieht, wie sein Zahnarzt die Utensilien auf dem Tisch verteilt. „Er kennt das Prozedere schon“, sagt Angelika Jarren. „Im Sommer bekommt er regelmäßig Besuch vom Doktor, weil er auf irgendwas allergisch reagiert.“ Und so zuckt der Wallach noch nicht einmal mit der Wimper, als ihm Dr. grosse Hackmann ein Mittel zur Beruhigung spritzt. „Die Sedierung hilft dem Pferd und mir“, erklärt der Experte. „Das Tier hat weniger Stress und Schmerzen, und ich kann es gründlich und in Ruhe untersuchen, vor allem im hinteren Backenzahnbereich.“

Prado bekommt ein Maulgatter angelegt, damit er seine Kiefer nicht schließen kann, und legt seinen benommenen Kopf auf einen Ständer. „Jetzt fehlt nur noch die Stirnlampe für mich, dann kann die Untersuchung losgehen“, sagt Dr. grosse Hackmann. Kurz darauf verschwindet seine Hand im Pferdemaul.

Der Gegenspieler des gezogenen Zahns ist in einem Jahr einen Dreiviertelzentimeter gewachsen. „Das ist schon eine Menge“, attestiert der Zahnarzt, während er das Dentalendoskop für seinen Einsatz vorbereitet. „Den müssen wir zurückraspeln.“ Dann schaut er noch mit der Mini-Kamera genauer hin. „Da sind ein paar scharfe Ecken, die müssen auch weg, sonst könnten sie die Backen des Pferdes verletzten.“

Paul grosse Hackmann wirft die elektrische Diamantraspel an und fährt damit über Prados Zähne. Dabei hält er dessen Zunge fest. Der Wallach zuckt nur ein bisschen — wahrscheinlich wegen des unangenehmen Geräuschs. Die Feinarbeit erledigt der Pferdezahnarzt mit der Handraspel. Ausspülen und fertig: Prado hat es geschafft.

Sind denn alle Patienten so brav? „Pferde sind eine tolle Spezies, aber sie sind Fluchttiere“, sagt der Experte. „Deshalb sind sie nicht immer berechenbar, was ich auch schon zu spüren bekommen habe. Zwei gebrochene Zehen, eine angeknackste Rippe und eine schlimme Verletzung am Schienbein waren die Folge. Aber die meisten Pferde sind ganz ruhig während der Behandlung.“

Selbst Flips, der nächste Patient, schlägt sich wacker, obwohl ihn eine umfassende Gebiss-Sanierung erwartet. „Er ist mit 40 Jahren das älteste Pferd in meiner Kundschaft“, sagt Dr. grosse Hackmann. „Es ist ein Wunder, dass er überhaupt noch Zähne hat.“ Grund für dieses Wunder ist Karin Meyer. Die 76-jährige Reitlehrerin kümmert sich seit knapp einem Vierteljahrhundert liebevoll um Flips und die beiden anderen Senioren Dusty und Sunny, beide jeweils 30 Jahre alt. „Flips frisst wie ein Scheunendrescher, deshalb bin ich guter Dinge, dass es nicht so schlimm ist“, berichtet sie. Doch Dr. grosse Hackmann muss sie enttäuschen: Zwei infizierte Zahnwurzeln müssen raus, ebenso zwei lockere Schneidezähne.

Das westfälische Reitpony bekommt ein Schmerzmittel gespritzt, dann beginnt die Behandlung. „Das wird jetzt eine ziemlich unangenehme Prozedur“, warnt der Pferdezahnarzt. „Und ziemlich blutig.“ Zeit also, um wegzusehen.

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