Stunde Null: Als Kissinger den Königshofer Kuchen zurückgab

Der spätere US-Außenminister war in den letzten Kriegstagen in Hüls im Einsatz. Daran erinnern sich Zeitzeugen bis heute.

Stunde Null: Als Kissinger den Königshofer Kuchen zurückgab
Foto: Jochmann

Krefeld. Auch wenn er seit Jahrzehnten nicht mehr in der Politik aktiv ist, hat sein Wort weltweit immer noch eine Wirkung wie Donnerhall. Erst kürzlich hat er ein Buch mit dem universellen Titel „Weltordnung“ veröffentlich. Darunter macht es der mittlerweile 91-jährige Henry Kissinger nicht.

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Foto: dpa

Lange bevor er seinen Ruhm als Deuter des Weltgeschehens und Doyen der globalen Außenpolitik begründete, wurde Kissinger bereits zum Teil der Krefelder Stadtgeschichte. Kurz nach dem Einmarsch der 84. US-Division am 3. März 1945 wurde die Villa des Brauereiinhabers Robert Wirichs in Königshof beschlagnahmt und zum Hauptquartier deklariert. Familie Wirichs musste mit sechs Kindern (drei Mädchen, drei Jungen) in den benachbarten Keller der Rhenania-Brauerei „umziehen“. Einer der Soldaten, die damals die Villa bezogen, war der junge Leutnant der US-Armee, Henry Kissinger, gebürtig im fränkischen Fürth, vor den Nazis in die USA geflohen.

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Auf der Strecke blieb bei Beschlagnahme der Villa auch der Geburtstagskuchen für den damals achtjährigen Jochen Wirichs. Den Kuchen musste die Familie zurück lassen. Margarete Drink erinnert sich 27 Jahre später: „Mensch, das war der junge Soldat von damals“, sagte die damals 54 Jahre alte Haushaltshilfe im Gespräch mit der US-Zeitung „The Daily Register“. Sie hat Kissinger bei dessen China-Besuch 1971 im Fernsehen gesehen und ihn sofort wiedererkannt.

Margarete Drink war im Mai 1945 resolut in die Kommandantur gestapft und hatte die „Auslieferung“ des Geburtstagskuchens verlangt. Ein sympathischer Army-Soldat (Kissinger) drückte ihr den Kuchen für Jochen Wirichs in die Hand. Von da an war sie trotz der verhängten Kontaktsperre mit Kissingers Zustimmung fast täglich in der Villa. Sie versorgte so die Wirichs-Familie mit Lebensmitteln bis hin zu echtem Kaffee, der damals eine echte Rarität war. Jochen Wirichs (74) bestätigte vor wenigen Jahren gegenüber unserer Zeitung diesen Bericht. Kissinger war damals als Angehöriger des Sicherheitsdienstes CIC für die Entnazifizierung Deutschlands im Einsatz. Er wurde schon nach wenigen Wochen nach Süddeutschland versetzt.

Margarete Drink starb im Jahr 2001. Ihre Enkelin Claudia Drink, die heute in Verberg lebt, erinnert sich: „Ja, ich weiß genau, dass meine Oma mir öfter mal von den Begegnungen mit Kissinger erzählt hat.“ Jochen Wirichs schickte dem späteren Außenminister der USA (von 1973 bis 1977 unter den Präsidenten Richard Nixon und Gerald Ford im Amt), der wesentlich zur Beendigung des Vietnam-Krieges beitrug, ein Fässchen Altbier über den Atlantik. Als Dankeschön für dessen Menschlichkeit in schweren Jahren und für den Geburtstagskuchen. „Ein Dankesschreiben von Kissinger habe ich noch irgendwo im Schrank“, sagt Jochen Wirichs, der heute in einem Haus unmittelbar neben der früheren Wirichs-Villa am Mühlenfeld lebt.

Bis heute ist Henry Kissinger stolz auf seine fränkischen Wurzeln. Er wurde als Heinz Alfred Kissinger am 27. Mai 1923 im mittelfränkischen Fürth geboren. Sein Vater Louis Kissinger unterrichtete am Fürther Mädchenlyzeum Geschichte und Geografie, seine Mutter Paula Kissinger (geb. Stern) war die Tochter eines wohlhabenden jüdischen Viehhändlers aus Leutershausen nahe Ansbach. Der Nachname wurde von seinem Ur-Ur-Großvater Meyer Löb 1817 angenommen und bezieht sich auf die Stadt Bad Kissingen. Seine Kindheit verbrachte Henry Kissinger mit seinem um ein Jahr jüngeren Bruder Walter in Fürth. Die Familie emigrierte 1938 aus Nazi-Deutschland in die USA. 13 Verwandte der Familie Kissingers wurden später von den Nationalsozialisten ermordet.

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