Krefelder Rockgeschichte: Wilde Jahre im Großformat

Vier Jahre nach dem ersten Band ist Teil zwei der Popmusik-Historie auf den Markt gekommen: „Krefeld rockt die Siebziger“.

Krefeld. Zarte fünfzehn war Silke Möller, als sie ihr älterer Bruder mit dem Festival-Virus infizierte. Mit "Big Brother" als Wachmann durfte sie fortan Rock- und Popkonzerte in Krefeld und Umgebung besuchen. Eine einfache Kamera - Modell "Ritschratsch" - hatte Silke stets dabei. Die Fotos sind der Nachwelt erhalten geblieben. Fast 40 Jahre sind sie alt.

Jetzt ist Silke Möller amüsierte Zeitzeugin bei der Präsentation des Bildbandes "Krefeld rockt die Siebziger". Die Autoren sind allesamt einschlägig vorbelastet - sie haben schon die Chronologie "Wer beatet mehr?" über die hiesige Szene der 60er Jahre herausgebracht: Wolfgang Hellfeier (Gesang, Percussion und Mitarbeiter der Schulverwaltung), Hans Rommerskirchen ("Hans der Drummer" und Sozialpädagoge), Waldo Karpenkiel (Schlagzeug, Percussion und Musiklehrer) sowie Uli Pudelko (Coverband-Gitarrist, Pensionär und ehrenamtlicher Stadtführer).

Weil die Scheiben in den 70er Jahren noch schwarz (oder psychedelisch grün oder regenbogenbunt) waren, dreht sich bei der Buchpräsentation in der Mediothek der Teller eines zeitgenössischen Dual-Plattenspielers. Zu hören sind ein paar Schätze aus dem Fundus von Hans Rommerskirchen - darunter Titel von Kollektiv, der bekanntesten Krefelder Jazzrock-Band, die es zu einem Plattenvertrag mit Metronome brachte. Da lacht das Herz von Waldo Karpenkiel, der im Kollektiv Felle und Becken bearbeitet hat.ges

192 Seiten hat der erste Band, 296 der neue. Drei Jahre gruben die Autoren in ihren und den Gedächtnissen alter Kumpel oder bekamen Geschichten "frei Haus" geliefert, per Zufall oder nach Appellen in Zeitungsartikeln. Wolfgang Hellfeier trieb es bis ins zentrale WZ-Archiv in Wuppertal, wo er sich einen Tag lang einsperren ließ. Denn gerade die WZ hat in jenen Jahren die lokalen Bands fleißig begleitet. Am Ende ist wieder ein Stück Krefelder Stadtgeschichte komplettiert worden - eine wilde Zeit.

Nahezu alle Szene-Lokale von damals gibt es nicht mehr. Das Meschugge an der Prinz-Ferdinand-Straße etwa, das eine Zeitlang von Rüdiger Bogusch betrieben wurde, der vorher bei den "Phantoms" den Ton auf der E-Gitarre angab und heute noch im Rentner-Dasein in die Saiten greift. Seine Foto-Sammlung hat Herbert Klöters den Autoren zur Verfügung gestellt. Er fotografierte die Bands bei ihren Auftritten in der Niederrheinhalle, war zudem Tontechniker von Synthese, First Ear, Rock-Revue und Wickelrock.

In dem mit Flokati, Fellmantel, Original-Plakaten und der damals aus Live-Konzerten nicht wegzudenkenden Lambrusco-Flasche dekorierten Mediothek-Raum sitzt auch Lothar Janssen. Er war nicht nur Gründungsmitglied und Manager der Gruppe Hippopotamus, er rief 1979 auch die Krefelder Musikerinitiative ins Leben, die man als Band nun mal braucht.

Nur etwas mehr als Jahr (1974/1975) war der Band Leberzirrhose beschieden. "Avantgarde" nannte sie ihren Stil. Spezialität des "lebergeschädigten" Walter Graap bei Auftritten wie in den "Gesellenstuben" an der Petersstraße war das Zersägen von Briketts. Erinnert wird im neuen Krefelder Musik-Schmöker an viele schon oder fast vergessene Orte. Wie die Fluxuszone an der Roßstraße, wo bei Reggae-Konzerten dichter Marihuana-Nebel über dem Hinterhof lag. Und ein liberaler Bürgermeister sich dafür einsetzte, den Kultur-Treffpunkt gegen die Beschwerden der Nachbarschaft zu erhalten.

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