Arbeiten, wenn andere schlafen

In der Wülfrather Bäckerei Schmitz beginnt der Arbeitstag nachts um halb eins. Gegen 11 Uhr ist frühestens Feierabend.

Wülfrath. Still ist es auf der Mettmanner Straße. Nachts ist die Wülfrather Hauptverkehrsader kaum befahren. In den Fenstern brennen keine Lichter. Die Uhr zeigt Viertel vor Fünf, die meisten Menschen drehen sich im warmen Bett um diese Zeit noch einmal um. Nur in einem Haus wird seit Stunden gearbeitet: In der Bäckerei von Richard Schmitz (63) beginnt der Arbeitstag schon nachts um halb eins.

Frühschicht

In der Backstube merkt man von der frühen Stunde nichts. Der Geruch von frisch gebackenem Brot füllt den Raum. Keiner gähnt, keiner streckt sich — zwischendurch wird nur ein Kaffee getrunken. Geschäftig wie um zwölf Uhr mittags wuseln die vier Bäckermeister umher. Jeder beackert einen Bereich. Michael Beumann (27) steht schon um kurz nach Mitternacht auf der Matte. Er kümmert sich um den Teig — die Bäckerei verarbeitet täglich im Durchschnitt 350 Kilo Rohmasse zu frischen Backwaren.

Das bedeutet, in einem fort Zutaten abzuwiegen und Teig in der Knetmaschine zu mengen. Dabei geht es auch um Fingerspitzengefühl und Wissen — zum Beispiel wie die Zutaten bei veränderten Temperaturen reagieren. Danach walkt Beumann die Teigfladen per Hand mit Sebastian Schmitz durch. Der 29-Jährige ist Sohn und designierter Nachfolger von Richard Schmitz. Wenn der Nachwuchs den Teig in die richtige Form gebracht hat, werden die Rohlinge kaltgestellt, damit alles länger frisch bleibt.

Nun legt Konditormeister Michael Pierlings seine geballte Erfahrung in die Waagschale. Seit 28 Jahren arbeitet er in der Bäckerei. Pierlings bewacht den Ofen, damit nichts anbrennt. Später wird sich der Konditor um das feine Sortiment kümmern: Teilchen, Kuchen oder Pralinen. Wenn Pierlings mit der Kelle in den Ofen fährt, sind die Brötchen fertig und ein Teil der Arbeit geschafft. Quasi nebenher backen die Vier rund 180 Laib Brot und 120 Kilo Stuten, dessen Herstellung dreieinhalb Stunden dauert. Konzentration ist angesagt — sonst kommen die Bäcker durcheinander. Sie sind ein eingespieltes Team. „Wenn einer lahmt, ist das System gesprengt“, weiß Beumann.

Richard Schmitz, Bäckermeister

An das frühe Aufstehen haben sich alle längst gewöhnt. „Besser als Schichtarbeit“, ist ihr einstimmiges Urteil. Ohne wechselnde Zeiten sei es einfacher. Probleme gibt es nur in Sachen Nachwuchs. Momentan ist die Bäckerei noch auf der Suche nach einem Auszubildenden. „Die Arbeitszeiten sind nicht gerade attraktiv. Viele machen lieber um 2 Uhr Party anstatt zu arbeiten. Aber andere Jobs sind auch nicht besser“, sagt Richard Schmitz. Auch sein Sohn hat überlegt, ob er in die Fußstapfen des Vaters tritt. Feiern von Freunden muss er schon mal früher verlassen. „Das Gute ist, dass wir uns hier prima verstehen. Das macht es leichter“, sagt Sebastian.

Um fünf Uhr sind die Brötchen fertig. An einem normalen Tag gehen rund 1000 Stück über die Ladentheke. Gegen 5.30 Uhr klopft der erste Kunde ans Fenster der Backstube: Volker Lindemayer hat schon Feierabend. Er hatte Nachtschicht und bringt das Frühstück mit. „Ich kann nachvollziehen, wie sich die Bäcker fühlen“, sagt Lindemayer, bevor er seinen Heimweg mit einer gefüllten Tüte fortsetzt — vier „Normale“, zwei Croissants und ein Haferbrötchen.

Gegen 11 Uhr ist wohlverdienter Feierabend, „wenn alles erledigt ist“, sagt Sebastian Schmitz. Dazu gehört, Bestellungen zum Kunden zu liefern. Die Bäckerei beliefert unter anderem das Niederbergische Museum in Wülfrath, das den Schmitz’schen Stuten für seine Bergische Kaffeetafel braucht. Erst danach, in der Mittagszeit, holen die Bäcker ihren Schlaf nach.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort