Hochspannung in der Luft

Einmal im Jahr überprüft Michael Bechmann die Stromleitungen im Kreis — nicht vom Boden aus. Er steigt in einen Hubschrauber.

Kreis Mettmann. Wie in Zeitlupe fliegt der Hubschrauber ein. Millimeterarbeit für Pilot Marc Menke. Die Fläche, auf der er landen soll, ist so klein, dass nicht einmal zwei Lastwagen nebeneinander Platz hätten. Sanft setzen die Kufen auf. Die Äste der Bäume tanzen wild in alle Richtungen. Die Rotorblätter werden langsamer.

Die Umspannanlage Opladen der RWE Deutschland ist Startpunkt für Michael Bechmanns Streckenkontrolle. Der Freileitungsmonteur fliegt einmal im Jahr die RWE-Hochspannungsleitungen zwischen Siegburg und Duisburg ab — mitten drin der Kreis Mettmann. Zwei Wochen brauchen er und sein Kollege, bis der gesamte Bereich überprüft ist. Heute geht es Richtung Monheim.

„Immer von vorne oder von der Seite in den Heli einsteigen. Niemals von hinten“, ruft Bechmann — seine Stimme kommt kaum gegen den ratternden Rotor an. In geduckter Haltung geht es zum Einstieg. Die Haare fliegen. Ab sofort läuft die Verständigung über Funk. Jeder Passagier setzt einen Kopfhörer auf. „Test, Test“, spricht Menke ins Mikrofon. Daumen hoch. Es kann losgehen.

Senkrecht startet der Helikopter in die Luft. Im Bauch stellt sich ein leichtes Kribbeln ein. Fast so wie auf der Achterbahn. „Wir müssen erst etwas steigen, dort vorne befindet sich ein Gestüt“, kommt eine Durchsage. Bei Herdentieren ist Vorsicht angesagt. Lautstärke und starker Wind könnten sie in Panik versetzen.

Der Streckenkontrolleur kennt sein Gebiet in und auswendig. Das Navigationsgerät läuft zwar mit, der Pilot wirft aber nicht einen Blick auf den Monitor. Bechmann gibt die Richtung durch. 1350 Masten liegen auf der gesamten Strecke — 760 Kilometer Leitungen. Menke steuert den Helikopter bis auf fünf Meter an den ersten Abspannmasten heran. Die Stromleitung macht hier einen Richtungswechsel und muss abgespannt werden. „Ich schaue mir jetzt die Isolatoren an“, erklärt der Freileitungsmonteur. In die so genannten Isolatoren, die ein bisschen wie Sprungfedern aussehen, sind die Seile eingehängt. Sie sind mit einer Keramikschicht ummantelt. „Ist die aufgeplatzt, kann Feuchtigkeit eintreten“, spricht er ins Mikro. Bei 110 000 Volt ist jeder Defekt gefährlich.

Die meisten Schäden an den Leitungen entstehen durch Blitzschlag. Die rund 40 Meter hohen Masten sind verlockend, deshalb fungiert das oberste Seil als Blitzableiter. „Es ist quasi nur dafür da“, erklärt Bechmann. Er schaut ganz genau, ob der Aluminiumwickel, der das Seil umgibt, durch einen Blitzeinschlag geschmolzen ist. Alles gut. Über Monheim scheint das letzte Gewitter gnädig gewesen zu sein. Eher selten, aber dafür um so ungewöhnlicher, sind Einschussstellen. Besonders die roten Bälle, die Leitungen für Rettungshubschrauber markieren, werden gerne mal von Jägern und Hobbyschützen als Zielscheibe missbraucht.

„Da ist das ,mona mare’.“ Menke zeigt aus dem rechten Seitenfenster. Im Außenbereich des Allwetterbades in Monheim ist nichts los. Der graue Betonklotz wirkt aus 40 Metern Höhe wie ein Spielzeughaus. Ein Junge bemerkt den Hubschrauber und winkt. „Es kommt auch immer mal wieder vor, dass Leute bei der Polizei anrufen, weil wir länger über einer Stelle kreisen“, sagt Bechmann.

Mit 185 Stundenkilometern geht es zum nächsten Mast. Die Geschwindigkeit ist kaum zu spüren. Die Häuser scheinen viel langsamer als bei einer Autofahrt vorbeizugleiten. „Die meisten schätzen unser Tempo niedriger ein“, sagt Menke und lacht. 240 Stundenkilometer schnell könnte der Helikopter fliegen — doch dann sei der Flug ungemütlich.

Der Kontrolleur macht eine Entdeckung: ein Vogelnest zwischen den Maststangen. Die Bewohner sind ausgeflogen. „Das ist an keiner gefährlichen Stelle.“ Die Vögel dürfen bleiben. Muss doch einmal ein Nest entfernt werden, weil beispielsweise Äste zu weit hinausragen, kommt ein anderer Helikopter zum Einsatz.

Er ist an beiden Seiten offen und hat eine ausfahrbare Plattform. Von dieser aus reparieren die Monteure auch defekte Leitungen — im Flug. Dafür muss Menke seinen Hubschrauber möglichst ruhig halten — für den Profi kein Problem. „Vom Boden aus machen wir die wenigsten Reparaturen“, erklärt Bechmann, der zusätzlich zu den Kontrollflügen auch einmal im Jahr eine Begehung der gesamten Strecke mit Kollegen macht.

Hat er einen Fehler entdeckt, muss ein Teil der Leitung still gelegt werden. Es wird immer nur eine Seite des Mastes freigeschaltet, über die andere läuft weiterhin Strom — schließlich darf es im Kreis Mettmann nicht dunkel werden. Bechmann arbeitet seit 20 Jahren als Freileitungsmonteur — passiert ist ihm noch nie etwas. Auch gestern lief alles glatt. Keine Beschädigung — bei Mann und Mast. Morgen kreist der Heli wieder.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort