Immer mehr suchtkranke Senioren

Die Zahl der Senioren, die von Alkohol und Medikamenten abhängig sind, nimmt zu, stellen Ärzte und Suchtberater fest.

Kreis Mettmann. Und auf einmal saß Helmut Gantz beim Arzt und brach in Tränen aus. Es war für den 75-Jährigen der Moment, in dem ihm klar wurde, dass er süchtig war, als sein Arzt ihm sagte, so könne es nicht weitergehen mit seinem Alkoholkonsum.

Nach dem Tod seiner Frau vor einem Jahr hatte sich Gantz jeden Abend ein Glas Wein gegönnt, hin und wieder mal einen Schnaps. Das entspannte, ließ ihn die Trauer über den Verlust seiner Frau vergessen. Doch es blieb nicht bei einem Glas, und auch nicht bei einem Schnäpschen. Er trank immer mehr, bis er anfing zu zittern, wenn es keinen Nachschub mehr gab.

Solche Falle von Suchtverhalten bei älteren Menschen kennt Dr. Thomas Reinert, Chefarzt der Suchtklinik in Velbert-Langenberg, zur Genüge. „Meistens geht das Suchtverhalten bei Senioren mit dem Verlust des Partners einher“, sagt er. Ein weiterer Grund sei aber auch oft, dass viele der Senioren den Übertritt vom Berufsleben in den Ruhestand nicht verkraften.

„Das Selbstwertgefühl sinkt. Viele fragen sich dann, was sie eigentlich noch hier zu tun haben auf der Welt, wenn sie auf einmal nicht mehr jeden Tag einer Aufgabe nachgehen“, sagt der Mediziner, der feststellt, dass auch mehr Patienten, die das Seniorenalter erreicht haben, in die Klinik kommen und Hilfe suchen.

„Wie viele das sind, kann ich nicht genau sagen. Aber es sind in jedem Fall mehr als noch vor Jahren“, sagt Reinert. Er gehe aber davon aus, dass die Dunkelziffer der süchtigen Senioren hoch ist, „denn bei vielen bleibt die Sucht unerkannt, weil auch Kontrollmechanismen nicht mehr greifen wie Arbeitskollegen, die jemanden vielleicht auf das Problem aufmerksam machen“.

Wie viele abhängige Senioren es gibt, ist schwierig zu sagen, weil es bis jetzt nur wenige Studien zu dem Thema gibt. Für den Kreis Mettmann gibt es keine Zahlen. Aber die Statistiken, die es zum Ausmaß des Problems gibt, zeigen deutlich: Die Zahl derjenigen Senioren wächst, die ohne Alkohol oder Medikamente nicht mehr auskommen können.

Laut der Drogenbeauftragten der Bundesregierung sollen 400 000 Menschen über 65 Jahre bundesweit ein schweres Alkoholproblem haben. Laut Deutscher Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) sollen 28 Prozent aller Männer und 18 Prozent aller Frauen ab 65 Jahren einen riskanten Alkoholkonsum haben.

Ähnlich dramatisch sind die Zahlen zum Medikamentenmissbrauch: Nach Schätzungen der DHS haben 1,7 bis 2,8 Millionen der über 60 Jahre alten Menschen ein Problem mit Arzneimitteln oder sind sogar medikamentenabhängig. In der stationären Altenpflege werde der Anteil der Abhängigen auf mindestens 25 Prozent geschätzt. Betroffen sind vor allem Frauen.

Dass Männer eher zur Flasche greifen und Frauen eher zu Schlaftabletten, Schmerzmitteln oder anderen Medikamenten, weiß auch Stephan Falley, Fachdienstleiter der Caritas Suchthilfe Wülfrath-Mettmann.

„Dieser Unterschied zwischen den Geschlechtern zeigt sich auch in den Gesprächen mit unseren Klienten“, sagt er. Schwierig sei es, in der Beratung älterer Klienten vor allen Dingen, ihnen erst einmal klar zu machen, dass sie ein Suchtproblem haben und krank sind.

„Denn Ältere haben gerade gegenüber dem Thema Sucht ein anderes Verständnis als jüngere Abhängige, die ihr Verhalten als eine Erkrankung anerkennen“, sagt er. Ältere würden es nicht als Krankheit wahrnehmen, sondern einfach nur als „mangelnde Willenskraft und Disziplin“.

Und dies sei auch der Grund, warum sich viele eben nicht professionelle Hilfe suchen. Dies gelte insbesondere für die, die von Medikamenten abhängig sind. „Diese Senioren können ja immer noch die Verantwortung von sich weisen und sagen, dass die Pillen der Arzt schließlich verschrieben habe.“

Falley appelliert daher an die Hausärzte genauer hinzuschauen, ob Medikamente wie Schlaftabletten oder manches Psychopharmaka mit Suchtpotenzial veschrieben werden muss.

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