Der Neanderthaler: Ein richtiger Kraftprotz

Der Kampf ums Überleben machte den Neandertaler zu einem Weltklasseathleten.

Mettmann. Nach der Arbeit noch schnell in die Muckibude? Oder die obligatorische Marathonrunde irgendwann zwischen Familienpflichten und Kneipenstammtisch? Um fit zu sein, braucht man heutzutage vor allem eines: ein gutes Zeitmanagement. Unsere steinzeitlichen Vorfahren hätten dafür wohl nur ein müdes Lächeln übrig — oder besser ein munteres — denn ein Problem hatten sie auf jeden Fall: Sie mussten kein Zeitfenster im Terminkalender finden, um in Bewegung zu bleiben.

Im Gegenteil, der Kampf ums Überleben sorgte offenbar für eine Fitness, von der Weltklassesprinter Usain Bolt oder Schwergewichtler Matthias Steiner nur träumen können. Zu diesem Schluss kam kürzlich zumindest Peter McAllister. Der australische Anthropologe hat historische Hinweise, fossile Funde und ethnologische Beobachtungen ausgewertet, um die Ergebnisse in seinem Buch „Manthropology — die Wissenschaft des mangelhaften modernen Mannes“ zusammenzutragen.

Vermutlich birgt das Werk reichlich Stoff, um beim vermeintlich starken Geschlecht für Minderwertigkeitskomplexe zu sorgen. Und glaubt man McAllister, so sind diese Befürchtungen durchaus berechtigt. „Die Herren von heute werden es verkraften müssen, dass die Frauen vom Neandertal sie in Grund und Boden gerungen hätten. Im Wirtshaus wären beim Armdrücken der Arm und der moderne Mann mitsamt dem verkleinholzten Tisch zu Boden gegangen“, lässt uns der Forscher wissen.

„Die Frauen der Neandertaler besaßen eine um zehn Prozent höhere Muskelmasse als heutige europäische Männer und hätten es locker mit Arnold Schwarzenegger aufnehmen können“, glaubt der Forscher.

Ähnliches ist auch von Bärbel Auffermann zu hören. Die stellvertretende Direktorin des Neanderthal Museums in Mettmann stellt dem Homo neanderthalensis in Sachen Fitness beste Zeugnisse aus. „An den Knochen kann man sehen, dass die Neandertaler sehr kräftig waren. Sie waren natürlich immer in Bewegung und hatten deshalb einen großen Brustkorb und eine große Lunge“, erzählt die Archäologin über die Protagonisten ihrer Ausstellung.

Und wie konnte es schließlich dazu kommen, dass die moderne Menschheit eine Gesellschaft von Schwächlingen geworden ist? Was ist der Grund dafür, dass aus bärenstarken Jägern und Sammlern mickrige Arbeiter und Angestellte wurden? Auch da lassen uns die Wissenschaftler nicht allzu lange im Dunkeln tappen.

„Schuld ist die Bequemlichkeit“ lässt uns McAllister wissen. Zumindest in sportlicher Hinsicht sei der heutige Homo sapiens nur ein Abklatsch seiner frühen Vorfahren. „Sogar das Trainingsausmaß unserer Extremsportler kommt nicht an die Herausforderungen heran, denen frühere Menschen bei der Jagd auf Tiere ausgesetzt waren“, glaubt der australische Forscher.

Was so viel heißt wie: Der moderne Mann mit seinen beschränkten Möglichkeiten wäre damals mitsamt seiner Familie verhungert, weil ihm jeder potenzielle Sonntagsbraten vor der Nase weggelaufen wäre.

Gründe dafür, dass alles so kommen musste, gibt es also genug. Die neuzeitliche Gebrechlichkeit führen die australischen Forscher übrigens vor allem auf die industrielle Revolution zurück, die menschliche Kraft in vielerlei Hinsicht verzichtbar werden ließ.

Bence Viola hingegen sieht die Ursachen in viel früheren Entwicklungen. „Schon während der neolithischen Revolution wurden unsere Langknochen schwächer, weil der Ackerbau die Menschen viel weniger gefordert hat als die Jagd“, glaubt der Wissenschaftler am Wiener Institut für Anthropologie. Außerdem gelte körperliche Stärke heute nicht mehr als sexy. „Die Paarungschancen messen sich heute nicht mehr am Jagderfolg, sondern am Gehalt. Und im Büro verdient man nun mal mehr als auf der Baustelle“, sagt Viola.

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