Neandertaler: Schlag auf den Kopf als Narkose

Der Neandertaler versuchte sich an der Anwendung von Heilkräutern und als Operateur — auf die rustikale Art.

Mettmann. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker. Wer kennt ihn nicht, diesen Satz mit seiner beruhigenden Botschaft. Bevor wir zu Tablette oder Tropfen greifen, lassen wir uns erst mal versichern, dass wir danach nicht plötzlich tot umfallen.

Wie mögen sich derweilen unsere steinzeitlichen Vorfahren auf dem Krankenlager gefühlt haben? Da gab es keine „Götter in Weiß“, die mal eben mit der „Gebrochene-Knochen-Diagnose“ zur Stelle waren. Und erst recht niemanden, der im Rettungswagen durchs Neanderland rauschte, um mit dem Notfallkoffer den Jagdunfall zu verarzten. Ob das Kraut auf der Wiese gegen Zahnschmerzen half, wusste auch niemand so genau. Es war ein gefährliches Leben — damals im „Gesteins“.

Wie dürfen wir uns das nun überhaupt vorstellen mit der medizinischen Versorgung vor 50 000 Jahren? Eines ist jedenfalls klar: Als Jäger lebten die Neandertaler ziemlich gefährlich. Um in ihrer rauen Umwelt bestehen zu können, entwickelten sie ausgeklügelte Überlebensstrategien. Ihr Körperbau war den Erfordernissen des steinzeitlichen Lebens angepasst. Archäologische Funde lassen darauf schließen, dass der Neandertaler besonders dicke Kniegelenke besessen haben muss, mit denen er bis zu fünf Meter tiefe Sprünge abfedern konnte.

Forscher gehen außerdem davon aus, dass seine große Nasenhöhle als riesige Vorwärmhöhle für kalte Luft auch Erkältungen verhindert haben könnte. Hustende und verschnupfte Neandertaler wird es demnach kaum gegeben haben.

Unsere steinzeitlichen Vorfahren scheinen grundsätzlich nicht an derselben Art von Zipperlein gelitten zu haben, die uns heute so zu schaffen machen. Durch die unmittelbare Nähe zu Tieren wird angenommen, dass sich deren Krankheiten auf den Menschen übertragen haben könnten.

Als Vorzeigeexemplar in Sachen Krankheitserscheinungen gilt ein Fund aus dem Neandertal. Der etwa 60-jährige Greis litt unter Rachitis, musste mit einer verheilten Kopfverletzung leben und weist einen Knochenbruch im Ellbogenbereich des linken Unterarmes auf“, kommentiert der Paläontologe Friedemann Schrenk einen Knochenfund.

Die Paläobotanikerin Arlette Leroi-Gourhan entdeckte im sogenannten Blumengrab der Neandertaler im irakischen Shanidar den Blütenstaub von 28 Pflanzen. Neben dem als Heilkraut überlieferten Beifuß befanden sich darunter sechs verschiedene Arten der Schafgarbe, die allesamt wundheilend, schweißtreibend und blutdrucksenkend wirken. „Eine der Arten wird noch heute zur Abwehr stechender Insekten auf die Haut gerieben“, sagt Ethnobotaniker Wolf-Dieter Storl und geht davon aus, dass es sich um ein Heilkräutergrab gehandelt haben könnte.

Um den Knochenfunden ihre Heilgeheimnisse zu entlocken, haben Forscher dem homo neanderthalensis erst kürzlich noch mal genau auf den Zahn gefühlt. Eingelagert im Zahnstein wurden unter anderem Reste von Schafgarbe, Kamille und anderen für ihre Heilwirkung bekannten Pflanzen gefunden.

Auch Operationen soll es schon gegeben haben. Mit einfachem Steinwerkzeug sollen die steinzeitlichen Jäger zu Werke gegangen sein, um Verletzungen am offenen Schädel zu versorgen. Verheilte Schnittflächen weisen darauf hin, dass die meisten Operierten den Eingriff überlebt haben könnten. Zur Narkose gab’s einen Schlag auf den Kopf.

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