Serie Stadtgespräch: Bei Fahrer Teddy schütten die Wülfrather ihr Herz aus

Wenn den Leuten etwas nicht passt, wird es schnell Thema im Taxi. Der 44-Jährige leiht seit 23 Jahren Fahrgästen ein Ohr.

Serie Stadtgespräch: Bei Fahrer Teddy schütten die Wülfrather ihr Herz aus
Foto: Simone Bahrmann

Wülfrath. Matthias Kretschmann öffnet die Tür zu seinem Taxi. „Hinein in die gute Stube“, sagt er. Das könnte ein bedeutungsloser Standardspruch sein, doch Kretschmann meint es ernst. Das Taxi ist für ihn wirklich so eine Art mobiles Wohnzimmer, in dem er seit 23 Jahren mit seinen Fahrgästen klönt. Viele von ihnen sind über die Zeit zu Stammkunden und Freunden geworden. Kretschmann nennt man in Wülfrath „Teddy“ und in Sachen Stadtgespräch ist er eine der Top-Adressen.

Bei Teddy öffnen die Menschen — wenn sie nicht gerade übers Wetter reden — auch die Herzen. „Da rollen auch schon mal ein paar Tränchen“, sagt der 44-Jährige, der für das Taxi-Unternehmen Trümper in der Abendschicht fährt.

Wenn sich das Stadtbild verändert, dann ändern sich auch die Gespräche in Kretschmanns Auto. Im Moment höre er ständig Kommentare zu den Entwicklungen auf dem Thiel-Gelände an der Wilhelmstraße. „Bekloppt, eine zweite Tankstelle in der Ecke“ oder „Ist doch eine Schande, dass da jetzt ein Fastfood-Laden hinkommen soll“ — diese Sätze fallen.

Monothematische Monate erlebte Kretschmann, als Stadthalle und Altes Rathaus abgerissen wurden. Auch damals hatten sich die Fahrgäste über den Wandel echauffiert. „Nur sind oftmals gerade die, die sich beschweren, nie in die Stadthalle gegangen“, sagt Kretschmann.

Ein Dauerbrenner sei auch das Thema Finanzen. „Man merkt, dass den Leuten das Geld nicht mehr so locker sitzt.“ Wülfrather berichten oft von ihren Geldsorgen und zahlen dann die Fünf-Euro-Fahrt mit abgezähltem Geld. Kretschmann kennt die Gesichter zu den Entlassungen, die es im Laufe der Jahre etwa bei Rheinkalk oder den Ford-Werken gegeben hat.

Die neueste Generation von Teddys Kunden redet weder über Geld noch Liebe — sie redet gar nicht. „Die jungen Leute wollen heute nur in Ruhe gelassen werden“, sagt er. Das Fenster zur Welt ist da nicht mehr Teddy mit seinen Stadtgeschichten, sondern das Internet im Handydisplay.

Oftmal geht es im Taxi auch um Teddy selbst, denn der ist eine kleine Berühmtheit. Nicht nur in Wülfrath, sondern in der Stimmungsmusik-Szene. Als „Teddy Berger“ macht er Seite an Seite von Jürgen Drews die Bühnen von Mallorca oder Kitzbühel unsicher.

Taxifahren ist da eher so etwas wie die solide Basis — zum Runterkommen. Das ist vielleicht auch der Grund, warum Teddy wohl zu den gemächlichsten Fahrern in Wülfrath gehört. Bei Schnee und Eis heize er nicht mit 150 zum Flughafen.

„Nicht nur aus Sicherheitsgründen“, sagt der alte Hase. „Das haben meine jungen, wilden Kollegen nicht verstanden.“ Schließlich gehe es gerade den älteren Fahrgästen nicht darum, möglichst schnell anzukommen — ihnen sei die Fahrt an sich wichtig. Aus dem Fenster gucken, sich entspannen und ein nettes Gespräch.

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