Pflegestation Wohnzimmer

Nach einer Hirnblutung bedarf Richard Huber ständiger Pflege. Seine Ehefrau hat ihn trotzdem nach Hause geholt.

Ratingen. Die Sonne schien an jenem Tag vor drei Jahren. Es war der 18. Juli 2008, das weiß Martina Huber (60) (Namen von der Redaktion geändert) noch ganz genau. Nach 16 Wochen war ihr Mann endlich wieder da. „Schatz, du bist jetzt wieder zu Hause“, begrüßte sie ihn. Er lächelte — zum ersten Mal seit Wochen. Antworten konnte er nicht. Alles war jetzt anders. Das Leben war dazwischen gekommen.

Richard, heute 61 Jahre alt, hatte eine Hirnblutung. Nach Wochen auf der Intensivstation und in einer Reha-Klinik wird er am 18. Juli entlassen. „Die haben ihn mehr tot als lebendig nach Hause gebracht“, sagt Martina Huber.

Vorausgegangen waren 16 quälend langsam verstreichende Wochen, in denen Martina Huber nicht wusste, ob ihr Mann den nächsten Tag überlebt. „Ich habe immer nur gebetet, dass er bei mir bleibt“, sagt sie und kämpft mit den Tränen.

Ihr Mann kann seine Augen öffnen. Selbstständig atmen, essen, auf die Toilette gehen, sprechen oder gehen, das alles kann er nicht. Pflegestufe drei. Dies ist die Bezeichnung des größtmöglichen Pflegebedarfs in der nüchternen Behördensprache.

Dennoch kommt eine Pflege im Heim für sie nicht infrage. Knapp 40 Jahre sind die beiden verheiratet. „Ich lieb’ den doch total.“ Und dann einfach weggeben? Heute sagt sie: „Es war die schlimmste und zugleich beste Entscheidung in meinem Leben.“ Die schlimmste, „weil ich nicht wusste, was auf mich zukommt“. Schlaflose Nächte, den eigenen Mann ständig so hilflos zu erleben — nicht zu vergessen die psychischen Belastungen.

Wie Martina Huber entschließen sich die Angehörigen von zwei Drittel aller Pflegebedürftigen in Deutschland dazu, sie zu Hause zu pflegen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind 11 685 Menschen im Kreis Mettmann pflegebedürftig — 2,3 Prozent aller Einwohner. In den vergangenen sechs Jahren ist die Zahl der Pflegebedürftigen in NRW laut Krankenkasse DAK um elf Prozent gestiegen. Im Zuge des demografischen Wandels wird eine weitere Zunahme erwartet.

Die meisten lassen sich bei der Betreuung von ambulanten Pflegediensten unterstützen. Auch Martina Huber. „Die haben vom ersten Tag an Ordnung reingebracht.“ Zusätzlich erhält ihr Mann verschiedene Therapien von Logopäden, Ergo- und Physiotherapeuten. Er macht große Fortschritte, spricht, lacht und kann wieder alleine trinken und atmen.

„Jedes neue Wort ist für mich Bestätigung, dass alles richtig war.“ Für sie ist das viel. „Ich weiß ja, dass mein Mann schwer krank ist und nicht mehr auf die Beine kommt, aber er wird mal wieder stehen können, davon bin ich überzeugt.“ Im Heim, ist sie sicher, wäre er schon längst gestorben. Eine vergleichbar intensive Pflege ist dort nicht zu leisten.

Martina Huber steht von dem apricotfarbenen Hocker auf und geht durch das Wohnzimmer. Aus der Schrankwand holt sie ein Fotoalbum. Stolz zeigt sie Bilder vom gemeinsamen Urlaub in Bayern im vergangenen Jahr. „Gucken sie mal, da hält er die Maß ganz allein.“ Endlich mal wieder rauskommen, das ist wichtig für Huber. Dafür hat sie sogar ein neues Auto gekauft. „Es ist so viel möglich, was man machen kann“, sagt Martina Huber. Nur umständlicher sei es.

Natürlich hatten sie und ihr Mann sich den Ruhestand anders vorgestellt. Doch verbittert wirkt Martina Huber nicht. Sie ist stark. Muss sein für ihren Mann sein. „Sonst wäre der arme Kerl doch ganz allein.“ Es gab Tage, an denen hat sie nur geweint. „Das erste Jahr war schwer. Irgendwann konnte und wollte ich nicht mehr.“ Doch eiserner Wille und psychologische Hilfe halfen ihr aus dem Tief heraus.

„Jetzt haben wir so etwas wie einen Alltag und es läuft gut“, sagt sie. Kämpfen müsse man. Immer.

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