Himmlische Botschafter

Lieblich und anmutig sind die Engel in Ratinger Kirchen nicht. Sie sind vielmehr Mahner und Künder des Friedens

Ratingen. Sie haben Hochkonjunktur in diesen Tagen: Weihnachtsengel. Ob als kitschige Püppchen, die an durchsichtigen Nylonfäden in Schaufenstern baumeln, als neonbunte Comicfiguren, die Geschenkeberge schleppen, oder billige Kopie der Puttenfiguren, die es auf Raffaels Gemälde der „Sixtinischen Madonna“ zu Weltruhm gebracht haben. Engel begegnen einem aber auch in großen Einkaufszentren, wo sie mit blonder Perücke, Flitterkleidchen und angesteckten Flügeln Handzettel verteilen oder in der Fernsehwerbung dümmliche Sprüche säuseln. Die himmlischen Wesen sind verkommen zu kitschiger Staffage.

Dabei spielen sie gerade an Weihnachten eine zentrale Rolle — als himmlische Heerscharen, Chöre jauchzender Engel und als Botschafter. Und das ist auch die Bedeutung des Wortes, das vom lateinischen „angelus“ abgeleitet ist: Bote, Abgesandter.

Diese anderen Engel, fernab von Kitsch und Kommerz, entdeckt man erst beim zweiten Hinsehen. Etwa jenen hoch oben auf der Turmspitze der evangelischen Stadtkirche: Der Engel bläst die Posaune — je nach Windrichtung quer über die ganze Stadt. Im letzten Buch der Bibel, in der Offenbarung des Johannes, ist von sieben Posaunenengeln die Rede. Die ersten sechs verkünden Gottes Gericht, die siebte Posaune kündigt das Reich Gottes an: Jesus Christus herrscht endgültig über die Welt. „Der Stadtkirchenengel bläst unermüdlich in seine Posaune — für Frieden und Gerechtigkeit“, formuliert es Pfarrer Gert-Ulrich Brinkmann.

Ganz anders der Engel im Altarfenster der Paul-Gerhardt-Kirche in Tiefenbroich: Das Gottesreich ist noch weit entfernt, noch stehen Krieg und Hass dem Frieden im Weg. Das Fensterbild zeigt eine nur in Umrissen erkennbare Gestalt. „Der Künstler Wolfhard Röhrig hat sie als ,Lichtgestalt’ bezeichnet“, erklärt Pfarrer Stephan Weimann. Das Bild erinnere an den berühmten Holzschnitt „Christus zerbricht das Gewehr“ von Otto Pankok aus dem Jahr 1950. Pankok starb 1966, ein Jahr später schuf Röhrig das Tiefenbroicher Glasfenster.

Während der Christus auf Pankoks Holzschnitt ein Repetiergewehr aus dem Ersten Weltkrieg zerbricht, zeigt Röhrigs Fensterbild ein amerikanisches Selbstladegewehr — „vermutlich eine Anspielung auf den seinerzeit tobenden Vietnamkrieg der USA“, sagt Weimann.

Ein Engel erscheint Josef im Traum Das Besondere an dem Bild: Der einzige Farbfleck auf dem in Schwarz-weiß- und Grautönen gehalten Fenster ist ein roter Punkt auf dem Gewehr. Weimann: „Die Bedeutung habe ich bis heute nicht herausbekommen.“ Der Pfarrer findet das Fensterbild auch aus einem anderen Grund ungewöhnlich: „Es ist die einzige Engeldarstellung in einer evangelischen Kirche, die ich kenne.“

Aber auch in den katholischen Kirchen sind Engel nicht häufig vertreten, obwohl die Verehrung der Himmelsboten dort eine andere Tradition hat. In der Pfarrkirche St. Peter und Paul verdeutlichte ein Engel quasi die Vorgeschichte von Weihnachten: Josefs Traum. Dort, wo Freitagabend die Krippe steht, erschien in den vergangenen Tagen und Wochen eine Engelsfigur dem auf einem primitiven Lager schlafenden Josef. Mit dem Verweis aufs Matthäus-Evangelium wird dem Betrachter klar gemacht: Ohne diesen Engel hätte es Weihnachten nie gegeben.

Nachdem Josef erfahren hatte, dass seine Verlobte Maria — nicht von ihm — schwanger ist, wollte er sie heimlich verlassen, um sie nicht bloßzustellen. Da erschien ihm im Traum ein Engel und sprach: „Josef, Sohn Davids, zögere nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen! Denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn zur Welt bringen. Dem sollst du den Namen Jesus geben. . .“ Josef folgte der Weisung des Engels — das Wunder der Weihnacht konnte geschehen.

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