Dieter Buschendorf - 30 Jahre auf der Transitstrecke

Essen — Helmstedt — Berlin und zurück: Bis zum Mauerfall 1989 hat Dieter Buschendorf (heute 70) unzählige Male seinen Lastwagen durch die damalige DDR gesteuert.

Neviges. Es war kein Job wie jeder andere: Der Kalte Krieg hatte seine heiße Phase gerade hinter sich, als Dieter Buschendorf vor mehr als 40 Jahren erstmals einen Lastwagen über die Transitautobahn nach Berlin steuerte. Bald drei Jahrzehnte bestimmte die Tour von Essen über Helmstedt in die heutige Hauptstadt den beruflichen Alltag des Nevigesers, der, wenn es ihn hinaustreibt, noch heute mit 70 Jahren in einen Lkw seines ehemaligen Arbeitgebers steigt, um eine Fuhre zu übernehmen.

In Schönebeck bei Magdeburg geboren, war Buschendorf mit seiner Familie Ende der 1940er- Jahre vor der Verhaftung gen Westen geflüchtet. Aufgewachsen in Werden, lernte der junge Dieter zunächst Metzger, um nach einigen Jahren im Beruf als Lkw-Fahrer anzuheuern. Doch statt Lastzüge durch Europa zu steuern, kippte er Kalksteinsplit für die im Bau befindliche A 46: „Das war nicht das, was ich mir vorgestellt hatte“, erinnert sich Buschendorf.

Da erhielt er 1970 das Jobangebot einer Essener Schnapsbrennerei mit Niederlassung in Berlin und pendelte fortan mehrmals pro Woche mit einem 40-Tonner zwischen beiden Standorten.

Ein Abenteuer waren nicht allein die wenigen, streng vorgeschriebenen Transitstrecken — überwiegend in katastrophalem Zustand, mit kopfsteingepflasterten Ausfahrten und entgegenkommenden unbeleuchteten Militärfahrzeugen.

Viermächte- und Transitabkommen gab es anfangs noch nicht — Durchsuchungen, Festnahmen oder Zurückweisungen waren auf dem Weg durch das andere Deutschland eher die Regel denn die Ausnahme. Für kleinste Verstöße, ob real oder vorgeschobene, wurde gern und in D-Mark kassiert, für den Transit ohnehin Maut berechnet. Außerdem benötigte Buschendorf für jede einzelne Fahrt ein Tagesvisum für fünf Mark, wie ein ganzer Stapel vollgestempelter Pässe bezeugt.

Der Kontakt mit DDR-Bürgern war strengstens verboten, und wer zu lange für den Transit brauchte, wurde verhört: Kontrolle war alles bei der Fahrt durch den Arbeiter- und Bauernstaat. „Der schlimmste Satz der Grenzer aber lautete: ‚Sie sind hier unerwünscht‘ — ohne jede Erklärung oder Begründung“, erzählt Buschendorf. Genügend Kollegen wurde so der Transitverkehr untersagt — was de facto einer fristlosen Kündigung gleichkam. „Mit der Zeit kannte man jedoch Grenzer, Zöllner, Volkspolizisten, wusste, wer in Ordnung war und bei wem man aufpassen musste“, erinnert sich der Nevigeser.

Wie eine Familie waren die Fahrer, die einander bald täglich begegneten. Mancher Kontakt blieb bestehen, auch als 1989 die Mauer fiel und innerdeutsche Fahrten Normalität wurden. 2007 gelang es Buschendorf, 52 der auf seiner Strecke Helmstedt-Berlin verkehrenden Transitfahrer ausfindig zu machen und zu einem Treffen zu versammeln. Noch immer stoßen Trucker hinzu, und beim dritten Treffen im September dieses Jahres waren es schon 80 Teilnehmer — darunter auch Inge Stecko vom Berliner Rasthof „Dreilinden“, die per CB-Funk (vor dem Handy die einzige Möglichkeit der Kommunikation während der Fahrt und in der DDR streng verboten) Kontakt mit den Fahrern hielt und dringende Nachricht an Chef oder Familie weiterleitete.

Inzwischen hat Buschendorf eine ganze Reihe von Briefen an Ministerien, Berliner Senat und sogar Bürgermeister Klaus Wowereit geschrieben. Denn er hofft, dass ein Vertreter dieser Institutionen die Trucker beim nächsten Treffen im Jahr 2013 besucht — als kleine Anerkennung für einen Job, der nicht so war wie andere.

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