„Hartz-IV-Bescheide sind oft falsch“

Juliane Hilbricht ist Fachanwältin für Sozialrecht. Im Interview spricht sie über Bezüge, Reha-Anträge und Vorsorge.

„Hartz-IV-Bescheide sind oft falsch“
Foto: Anja Tinter

Wülfrath. Wenn Sie die Sozialrechtsberatung in Wülfrath anbieten: Wer kommt da zu Ihnen? Früher waren das oft alte Kriegswitwen mit einer kargen Rente.

Hilbricht: Die gibt es auch heute noch, aber sie werden natürlich weniger. Vor einigen Jahren kamen nach den neuen Gesetzen vor allem Menschen, die Hartz IV erhielten. Heute sind es ebenso viele Schwerbehinderte, die ihre Ansprüche geltend machen wollen oder auch Alleinerziehende, die finanzielle Probleme haben.

Was können Sie denn genau für die Leute tun?

Hilbricht: Ich mache den Menschen vor allem erstmal Mut, sich zu wehren, wenn sie berechtigte Ansprüche haben. Dann erkläre ich, wie die Menschen ihre Ansprüche auch durchsetzen können.

Welche Ansprüche?

Hilbricht: Reha-Anträge müssen gestellt werden oder Krankheiten müssen anerkannt werden, wenn sie zur Erwerbsunfähigkeit geführt haben. Oder aber auch die steuerlichen Vorteile, die ein Schwerbehinderter hat, werden von den betroffenen oft vergessen.

Geht es nur ums Geld?

Hilbricht: Nein. In vielen Fällen ist den Menschen über den rechtlichen Anspruch hinaus vor allem die gesellschaftliche Anerkennung eines Missstandes wichtig. Sie wollen merken, dass die Öffentlichkeit das weiß. Das ist oft das Wichtigste — unabhängig von den konkret durchsetzbaren Ansprüchen. Denn eins merken wir immer wieder: Viele Menschen trauen sich nicht, sich zu wehren. Da muss man sie ermuntern.

Wie hoch sind denn die Erfolgschancen der Menschen?

Hilbricht: Sehr hoch, denn fast jeder Bescheid zu Hartz IV, der im Kreis Mettmann von den Arbeitsagenturen bearbeitet wird, ist letztlich falsch.

Woran liegt das?

Hilbricht: Die personelle Ausstattung der Behörden bundesweit ist sehr schlecht. Die Mitarbeiter müssen viel zu viele Fälle durchschleusen, da passieren natürlich viele Fehler. Das ist in ganz Deutschland so. Außerdem funktioniert die neue Softwareprogrammierung bei der Agentur für Arbeit wohl noch nicht reibungslos. Auch da liegen Gründe für die hohe Fehlerquote.

Haben Sie ein Beispiel?

Hilbricht: Viele Menschen verdienen bei den 450-Euro-Jobs in verschiedenen Monaten unterschiedlich viel. Das berücksichtigt das Amt oft nicht, weil pauschal einmal eine Summe eingegeben wird. Wenn der Verdienst dann sinkt oder steigt, muss erneut geprüft und neue Bescheide müssen erstellt werden.

Das heißt immer neuer Frust bei den Menschen und den Mitarbeitern?

Hilbricht: Korrekt.

Sie kritisieren zudem die wenig ausgeprägte Kooperation zwischen den Ämtern in den verschiedenen Kreisstädten?

Hilbricht: Die Wohlfahrtsverbände arbeiten hervorragend zusammen, sie sind professionell vernetzt. Die Städte aber haben in der Tat Defizite. Kaum einer kooperiert und hilft den Menschen übergreifend.

Der Blick aufs Gesamte scheint ohnehin sehr schwierig zu sein.

Hilbricht: Ja. Es geht oft nicht nur um eine Sache oder ein Problem, welches mit nur einer Maßnahme gelöst werden kann. Krankheit, Arbeitslosigkeit, Scheidung, Behinderung, Altersarmut, Hartz IV-Bezug, Alleinerziehende: Oft ist es ein Bündel von Problemen, die zusammenhängen.

Sie geben in Ihrer Sozialrechtsberatung auch Hinweise auf Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten.

Hilbricht: Das wird immer wichtiger, denn wir alle sind heute länger alt und dabei kann es zu Problemen mit Kindern, Enkeln und Ehepartnern kommen.

Was raten Sie?

Hilbricht: Die meisten Menschen kümmern sich zuerst um ein Testament. Besser wäre es, sich zuerst um Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten zu kümmern. Das regelt das Leben im möglicherweise gebrechlichen Alter.

Juristen raten da immer, einen unabhängig Dritten mit ins Boot zu holen.

Hilbricht: Genau. Diejenigen sehen und sprechen Dinge an, die oft übersehen werden und können neutral helfen.

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