Tagelang schlimmes Heimweh

Die Hombergerin Carina Matyssek ist in Peking bei ihrer Gastfamilie angekommen.

Peking. Jetzt bin ich schon über eine Woche in China. Unzählige Eindrücke prasseln auf mich ein. Eigentlich hätte ich jeden Tag einen großen Artikel schreiben können, so viel ist passiert - meine Ankunft in Shanghai, die Weiterfahrt nach Peking, mein erster Tag in der Gastfamilie oder mein erster Schultag in China. Doch ich muss zugeben: Ich konnte einfach nicht. Mich hat doch das Heimweh erwischt - und viel stärker als ich je gedacht habe.

Als ich meinen Koffer auspacken wollte, kamen auf einmal die Tränen. Vielleicht habe ich in diesem Moment zum ersten Mal richtig realisiert, was ich hier mache. Ich habe alles versucht, um das Heimweh in den Griff zu bekommen: Zu Hause anrufen, gar keinen Kontakt nach Deutschland haben - geholfen hat nichts. Ich habe auch versucht, viel zu unternehmen, weil Ablenkung helfen soll, dennoch blieb das Gefühl der Traurigkeit.

Ich kenne sehr viele, die ein Jahr im Ausland waren, in den verschiedensten Ländern. Aber keiner hat mir erzählt, dass der Anfang so schwer werden könnte. Alle haben immer nur von dem Austauschjahr geschwärmt.

Das größte Problem für mich war, zu akzeptieren, dass ich nicht von Anfang an mit den Chinesen reden kann, dass ich nur einen Bruchteil von dem verstehe, was sie mir sagen. Seitdem geht es mir besser. Ich versuche, so viel wie möglich auf Chinesisch zu sagen, bevor ich Englisch rede, und ich bin immer überrascht, wenn die Chinesen mich verstehen.

Oft ist es auch so, dass ich die Wörter zwar kenne, sie aber falsch ausspreche und deshalb nicht verstanden werde. Doch es wird alles besser, und meine chinesische Mutter sagt, dass ich mit jedem Tag schneller lerne.

Das erste Mal wirklich glücklich in China war ich an meinem sechsten Tag, und von da an wurde es auch mit dem Heimweh besser. An diesem Tag ging ich mit meiner Gastmutter durchs abendliche Peking. Nicht ins Stadtzentrum, das ist viel zu weit weg, sondern durch den Stadtteil, in dem wir wohnen.

Viele Leute haben sich, wie jeden Abend, im Park versammelt und alte chinesische Lieder gesungen und dazu getanzt. Ein älterer Mann hat mich zum Tanzen aufgefordert, und ich habe mich irgendwie dazugehörig gefühlt.

In China tanzen die Menschen fast überall. Sobald es dunkel wird, nehmen sie einen CD-Spieler und stellen sich auf die Straße. Auf dem Heimweg kamen wir an Leuten vorbei, die einfach nur alleine vor ihrem Haus getanzt haben.

Tanzen und singen gilt hier als Mittel zur Beruhigung. Nach einem anstrengenden Alltag sollte man etwas tun, um wieder in Harmonie mit dem Körper zu kommen. Ich denke, ich bin an diesem Abend auch in Harmonie mit mir gekommen. Natürlich denke ich noch oft an zu Hause - und das wird sich auch nicht ändern, aber es ist jetzt ein gutes Gefühl. China und Deutschland sind für mich ins Gleichgewicht gekommen und ich beginne, beide Länder als meine Heimat zu sehen.

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