„Kempen unterm Hakenkreuz“: Vom Schrecken der Nazis

Historiker Hans Kaiser hat den zweiten Band seines Werks „Kempen unterm Hakenkreuz“ veröffentlicht.

„Kempen unterm Hakenkreuz“: Vom Schrecken der Nazis
Foto: Kurt Lübke

Kempen. Dem Leser schnürt sich die Kehle zu. Auf den Seiten 434 und 435 seines nun erschienenen Werks „Kempen unterm Hakenkreuz. Band 2“ schildert der promovierte Historiker Hans Kaiser das Schicksal der Kempener Jüdin Selma Bruch und ihrer Tochter Ilse. Im November 1943 wird die Neunjährige mit mehr als 2200 weiteren Opfern vom Ghetto in Riga nach Auschwitz geschickt.

Selma Bruch, die wegen ihrer Geschicklichkeit beim Nähen der Ermordung zumindest bis auf Weiteres entrinnen könnte, sieht ihr Kind in der Reihe derer stehen, die auf den Abtransport warten — „alleine und verängstigt“, wie Kaiser schreibt.

Daraufhin stellt sich die Kempenerin zu ihrer Tochter. „Selma Bruch will nicht, dass Ilse allein ist, wenn sie stirbt. So folgt sie ihrem Kind in die sichere Vernichtung.“ Ein Foto neben dieser Schilderung zeigt Ilse Bruch als Dreijährige — ein fröhliches Mädchen, das nur noch sechs Jahre zu leben hat.

Mit dem zweiten Buch — Band 1 erschien Ende 2013 — hat Hans Kaiser sein großes Geschichtswerk über seine Heimat während des Nationalsozialismus abgeschlossen. Die vergangenen zehn Jahre hat er hauptsächlich der Recherche und dem Schreiben gewidmet. „Ich habe ihn als ständigen Nutzer des Kreisarchivs kennen- und schätzengelernt“, sagte Kreisarchivar Gerhard Rehm bei der Präsentation des Buchs in der Kempener Burg über den Verfasser.

Die Suche nach historischem Material führte Kaiser und sein Unterstützerteam mittels der modernen Technik bis in die USA. Schon beim ersten Durchblättern der rund 850 Seiten mit zahlreichen Fußnoten wird die Fülle der verwendeten Quellen deutlich. „Mir ist keine Studie in diesem Umfang über eine andere Stadt vergleichbarer Größe bekannt“, sagte Rehm.

So hat Hans Kaiser auch das herausgefunden: Der vermutlich prominenteste Nazi, der Kempen besuchte, war der berüchtigte Chefideologe Alfred Rosenberg („Der Mythus des 20. Jahrhunderts“). Laut Kaiser hat er am 16. April 1940 einen Vortrag vor Offizieren in der damaligen Kreisstadt gehalten.

Es ist nicht zuletzt die Fotoauswahl, die den Wert des zweiten Bandes ausmacht, der sich vor allem mit dem Krieg befasst. Ein Beispiel: Auf Seite 245 sind zwei junge Männer in Anzug und Krawatte zu sehen, die sich fröhlich angrinsen — eine Idylle. Doch unter dem Bild steht, dass der abgebildete Joseph Giesen, Peterstraße 33, mit nur 21 Jahren im Lazarett in Russland starb. Der andere, Heinz Hermanns von der Ludwig-Basels-Straße 18, wurde durch einen Granatsplitter tödlich verwundet. Auf anderen Seiten werden auch Leichen gezeigt. Deutlicher lassen sich Terror und Krieg kaum darstellen.

Im Vorfeld der Veröffentlichung stellte der Autor fest, dass das Thema noch immer Brisanz hat: „Es gibt Leute, die Angst vor diesem Buch haben.“ Sie verstünden nicht, dass er nicht vorhabe, jemanden an den Pranger zu stellen. Hans Kaiser, der selbst kurz nach dem Krieg geboren wurde, warnt immer wieder vor dem „erhobenen Zeigefinger“ aus der Rückschau.

Durchaus als Kritik lässt sich gleichwohl folgende Passage über die späte Erinnerung an die ermordete Selma Bruch lesen: Auf Antrag der Grünen wurde „in aller Stille“ eine Straße nach ihr benannt. Das war im Jahr 2012 im Baugebiet An der Kreuzkapelle. „Aber nach dem NS-Ortsgruppenleiter und Heimatdichter Wilhelm Grobben heißt eine Straße schon seit 1964.“

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