Totenstille in der Kempener Paterskirche

Geschichte des Holocaust-Überlebenden Michael Emge bewegte die Besucher.

Kempen. Dass die Geschichte, die Angela Krumpen in ihrem Buch „Spiel mir das Lied vom Leben“ erzählt, auf einer wahren Begebenheit beruht, mag man kaum glauben. Sie handelt von Judith Stapf, die im Alter von zehn Jahren im Internet zufällig auf die Filmmusik aus „Schindlers Liste“ stößt und diese auf ihrer Geige übt.

Dass dieser Film von der Judenverfolgung im Dritten Reich handelt, weiß sie nicht. Sie beginnt, sich dafür zu interessieren, liest Bücher.

Der Holocaust-Überlebende Michael Emge war einst selbst ein Geigentalent gewesen, ehe ihn die Nazis verschleppten. Nur die Tatsache, dass er auf Schindlers Liste stand, rettete ihm das Leben. Seine Geschichte erzählte er lange niemandem.

Über die Journalistin Angela Krumpen, eine Freundin von Judiths Eltern, wird ein Treffen mit Emge organisiert. Dieser öffnet sich dem Mädchen und berichtet von den schrecklichen Erlebnissen. Die Geschichte der Freundschaft zwischen Emge und Judith wurde am Sonntag bei einer Lesung in der Paterskirche erzählt.

Als Judith Stapf (inzwischen 15) in Kempen ihre Geige in die Hand nahm, und begleitet von ihrem Vater am Klavier zu spielen begann, war es totenstill in der Paterskirche. „Bücher kann man zuschlagen, doch wenn man jemandem in die Augen schaut, der das Schreckliche selbst erlebt hat, dann ist das etwas ganz anderes“, erinnert sich Judith Stapf an das Treffen mit dem Holocaust-Überlebenden.

Emge, inzwischen 83 Jahre alt, ist in zwei Ghettos und drei Konzentrationslagern gewesen. Im Alter von 15 Jahren stand fest: Von 65 Familienmitgliedern war Emge der einzige Überlebende.

Dass er es dennoch schaffte, nach dem Krieg die Schule zu beenden, eine Wohnung zu finden, das Geigenspielen wieder aufzunehmen und für einen Radiosender zu arbeiten, zeugt von seiner Entschlossenheit, mit der er auch die Zuschauer in der Paterskirche beeindruckte.

Dabei hätte er den Weg, an die Öffentlichkeit zu gehen, fast teuer bezahlt. Nach Drohanrufen wandte er sich an die Polizei, die ihm dazu riet, seinen Namen zu ändern. Seitdem tritt er mit dem Pseudonym Michael Emge auf.

Aufgegeben hat er deswegen nicht. Zurück nach Plaszow in Polen, an den Ort, wo Emge einen Teil seiner Kindheit im KZ verbringen musste, reiste er schließlich zusammen mit Judith und deren Mutter 2011. Durch Zufall standen sie dort vor der Villa des früheren SS-Kommandants, Amon Göth, der von seinem Balkon aus Leute erschoss. Für Judith der Moment, „in dem ich wirklich verstanden habe, worum es hier ging“.

Die Konzert-Vorlesung in Kempen endete mit minutenlangem Beifall. Die Thomasstadt war die letzte Station einer langen Reise, die Judith und Emge von Hamburg aus ein Jahr lang quer durch Deutschland geführt hat.

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