Wolfgang Niedecken: Rebell und Poet aus der Dom-Stadt

Mit autobiographischen Liedern und Texten aus dem Buch „Für ’ne Moment“ faszinierte Wolfgang Niedecken sein Publikum.

Lobberich. Geblendet vom Glitzern des Gitarrenkorpus, in dessen hochglanzpolierter Oberfläche sich das Scheinwerferlicht spiegelt, hatten selbst die Zuschauer der letzten Reihe ein ganz besonderes Nähe-Gefühl an diesem Abend. In der ausverkauften Werner-Jaeger-Halle gastierte am Samstagabend Wolfgang Niedecken — Kölner BAP-Frontmann, Songschreiber und bildender Künstler.

Er las und sang Autobiographisches, das unter dem Titel „Für ‘ne Moment“ als (Hör-)Buch erschienen ist. „Wie hypnotisiert“ ging er am Zeitstrahl rückwärts, brachte seinen ersten Drummer „Mötz“ ins Gespräch, aber auch den Fotorealismus, Jimmy Hendrix und den Geruch von Rohkakao. Auf die gelesenen Passagen folgte ein jeweils dazu korrespondierender Song.

Am Anfang verlor sich Niedecken dabei in breit gestreuter Sentimentalität, was von zerbrechlicher Schönheit war und Trauer und Sehnsucht eine Stimme gab. Als Folge hielten die Paare im Saal Händchen, waren noch einmal so verliebt wie früher.

Mit rheinischer Herzlichkeit und kölschem Zungenschlag hatte Wolfgang Niedecken schnell den ganzen Saal auf seiner Seite. Er parlierte über den Heiligen Severin, der an einer Hausfassade Wache hält, den eigenen, geschäftstüchtigen Vater Josef, über Keksdosen, Milchpumpen und lindgrünen Blechschränkchen im elterlichen Lebensmittelladen.

Die Erinnerung an den Chippendale-Tisch verrät den Rebell und Poeten: Was Niedecken einst bekämpfte, setzt er künstlerisch in raue Songs mit weichem Kern um. Seine Blicke auf erlebte Zeit sind aber auch ernstes Sprachrohr, beispielsweise beim selbst erlebten Missbrauch durch einen Pater im Internat. Stille und Betroffenheit erfüllte den Saal bei Niedeckens kraftvoller Enthüllung festgebrannter Grausamkeiten.

Seine thematischen Schwenkbewegungen lassen keinen rheinischen Gemütszustand aus, vom Kampf gegen Gänseblümchen und Trostlosigkeit bis zum stillen, zufriedenen Blick auf den Rhein. Am Ende, nach schallendem Beifall und stehenden Ovationen, blendete die Gitarre ein letztes Mal. Fast war es so, als sähe man für einen kurzen Moment den Kölner Dom und die glitzernden Lichter der Großstadt. Da war es wieder, dieses ganz besondere Nähe-Gefühl.

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