Zwangsarbeiter mussten eigenes Grab schaufeln

An die Gräueltaten der Wehrmacht zum Kriegsende 1944 erinnert ein Komitee im Grenzland.

Grenzland. Kalt war die Nacht des 26. Dezember 1944, die für 14 Männer aus Roermond zur letzten ihres Lebens werden sollte. Die Jüngsten waren gerade 16 Jahre alt, der älteste 48. Zuvor hatte die deutsche Wehrmacht in Roermond Menschen zur Zwangsarbeit rekrutiert. Die Männer, unter ihnen auch ein polnischer Partisan mit Namen Frans, hatten versucht, dem zu entgehen und sich versteckt. Aber sie waren gefunden worden. In dieser Nacht hatten sie sich auf der Heide ihre eigenen Gräber schaufeln müssen und waren ohne einen Prozess oder ein Urteil erschossen worden. Vier Tage später, am 30. Dezember 1944, mussten 3000 Menschen aus Roermond zu Fuß den Marsch in die Zwangsarbeit antreten. Sie liefen bis nach Dülken und wurden von dort aus deportiert.

Im 16. Jahr erinnert das Komitee „Voettocht 30 december“ an die Grausamkeiten dieses Dezembers. Seitdem kommen immer zum Jahreswechsel Menschen aus den Niederlanden und aus Deutschland an der Grenze zwischen Niederkrüchten und Roermond im Lüsekamp zusammen und gedenken dieser beiden Geschehnisse aus dem Dezember 1944. Im Lüsekamp, unweit der Stelle, an der die Männer erschossen wurden, steht ein Mahnmal, das an die Ereignisse erinnert.

Hier pfeift der Wind über die Heide. Die rund 130 Menschen, die sich diesmal versammelt haben, rücken enger zusammen. Die 14 Kerzen, die sie für die Ermordeten entzünden, setzen sie in kleine Glasbehälter, damit das Licht nicht verlöschen kann. Die Menschen aus den beiden Ländern, die hier zusammenkommen, wollen Grenzen überwinden. Sie bemühen sich um eine gemeinsame Sprache, reden limburgisch oder Platt, halten ihre Gedenkreden teils auf Niederländisch, teils auf Deutsch.

Und sie sehen den aktuellen Bezug. „Wir bekunden unser Mitgefühl mit den Angehörigen sowie allen Menschen, die unter den Folgen von Krieg und Verfolgung leiden“, sagt Niederkrüchtens Bürgermeister Herbert Winzen. „Mit dieser Vergangenheit im Gedächtnis haben wir es jetzt in den Händen zu erkennen, wo immer Andersdenkende, Andersgläubige oder Menschen mit einem anderen Aussehen diskriminiert und gemobbt werden.“

„Jedes Jahr kommen wir hier zusammen, um stillzustehen bei dieser abscheulichen Dezembernacht“, sagt sein Roermonder Amtskollege Henk van Beers. „Wir wollen das nie vergessen, aber uns immer wieder die Hände reichen. Der Gedenkstein ist ein Zeichen von Versöhnung.“

Eindringlich schildert auch Pierre Bakkes, Autor aus Montfort in den Niederlanden, seine Erlebnisse mit dem Krieg, dem Jahr 1944, das er als Dreieinhalbjähriger erlebte. Erinnerungen an das Massengrab in seinem Ort, an die Nächte im Keller. „Wir Menschen von Roer, Maas und Rhein müssen davon erzählen, unseren Kindern und Enkeln, immer und immer wieder“, sagt er. „Wir müssen uns Fotos ansehen und erzählen. Das dürfen wir nicht den Geschichtsschreibern überlassen — und schon gar nicht den Filmemachern, die mit ihren Geschichten über die Zeit des Weltkriegs Kasse machen wollen.“

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