Ein Tandem für elf Personen

Beim Stichwort Olympia denkt Karl-Heinz Lessenich an ein seltsames Gefährt, das er 1968 zusammen mit Freunden gebaut hat.

St. Tönis. Wenn bei Karl-Heinz Lessenich die Olympischen Spiele über den Fernsehbildschirm flimmern, dann bekommt das Gesicht des St. Tönisers einen spitzbübischen Blick und er greift zum Fotoalbum. Das gesuchte Bild im Album zeigt elf Männer im gelb-schwarz gestreiftem Ringelhemd auf einem Tandem.

„Das sind wir, der Vespa Club St. Tönis, im Jahr 1972. Damals fand die Olympiade in München statt und wir sind anlässlich dieses Ereignisses unter dem Motto ,Auf nach München’ im Karnevalszug mitgefahren und zwar mit einem Elfer-Tandem“, sagt Lessenich mit leuchtenden Augen.

Der Erfolg des Tandems beim St. Töniser Zug bewog die Herren damals, auch im Krefelder Zug mitzufahren, wo sie ein nicht minder großer Erfolg waren. Das Tandem für elf Personen gab es zum damaligen Zeitpunkt schon seit vier Jahren. Der Vespa-Club traf sich regelmäßig jeden Freitag, wobei man nicht nur im Hinblick auf die Roller aktiv war.

„Wir sind Jahr für Jahr im Karnevalszug mitgezogen und überlegten damals, was wir machen könnten“, sagt Lessenich. Einer hatte die Idee, etwas zu bauen, auf dem alle mitfahren konnten. Aus einer Bierlaune heraus entstand so der Tandemvorschlag.

Schon einen Tag später stand ein altes Motorrad vom Schrott beim Zweiradmechaniker Lessenich in der Werkstatt. In gemeinschaftlicher Arbeit gingen die Männer ans Werk. „Wir haben das Motorrad einfach mittendurch gesägt und ein langes Rohr dazwischen geschweißt“, erzählt Fritz Tredup vom heute noch exsistierenden Vespa-Club.

Ein Vierteljahr bauten die Männer abends nach Feierabend an dem Tandem, das Platz für elf Personen bat und sogar eine Dreigangschaltung erhielt. „Wir hatten die Türen in meiner Fahrradwerkstatt auf, damit es reinpasste. Und als es fertig war, hätten wir es um ein Haar nicht hinausbekommen. Wir haben es schräg gestellt und an einer Seite angehoben, um es heraus zu schieben“, erinnert sich Lessenich lachend.

Bei der ersten Probefahrt 1968 gab es noch keine Sättel, sondern man saß auf der Stange. Die Feinheiten folgten erst später. Schon damals fuhr der Vespa-Club im Karnevalszug mit, wobei die Herren in ihren dunkelgrünen Clubjacken, schwarzen Hosen und Schuhen, weißen Hemden samt Fliege sowie der „Kreissäge“ — eine bekannte Hutform — auf dem Kopf und die Milchflasche mit Strohhalm in der Hand, der Renner waren.

Eine Aufnahme brachte sie sogar ins Fernsehen. Das Tandem samt Fahrer trat bei „Ihr Steckenpferd“ von Peter Frankenfeld auf. Eigens für den Transport nach Berlin machten die Männer ein Klapprad aus dem Tandem. „Wir fanden keinen Lkw, der das acht Meter lange Rad in einer Kiste nach Berlin transportieren konnte. Also haben wir es durchgesägt und Klappscharniere dran gemacht“, sagt Tredup.

Viele schöne Erinnerungen sind an das Tandem geknüpft, die jetzt mit der Olympiade wieder hochkommen. Das Tandem gibt es übrigens noch. Es steht, gut verpackt, in einer St. Töniser Garage. „Wir sind zu alt, um damit zu fahren. Aber vielleicht wird es irgendwann einmal wieder aktiviert“, hoffen Lessenich und Tredup.

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