Für Jenny und Ferdinand Servos: Diesmal wird an Flucht erinnert

Zehn neue Stolpersteine werden am 8. Dezember in Willich verlegt.

Willich. Fast 50 Aktenordner füllen im Arbeitszimmer von Bernd-Dieter Röhrscheid mittlerweile die Recherchen zum Schicksal jüdischer Familien aus dem Gebiet der heutigen Stadt Willich. Und jede Woche kommen neue Erkenntnisse dazu. „Kürzlich erst habe ich mit Stadtarchivar Udo Holzenthal rund 100 Wiedergutmachungs-Akten im Landesarchiv durchgearbeitet“, berichtet der pensionierte Lehrer. Eine Folge dieser Recherchen ist ein Buch, das im nächsten Sommer erscheinen soll. Eine andere Folge sind die 55 Stolpersteine, die seit Februar 2012 in der Stadt Willich verlegt worden sind. Am 8. Dezember kommen weitere zehn dazu.

Das Besondere diesmal: „Wir wollen die Flucht dokumentieren“, berichtet Röhrscheid. Erinnert werden soll nämlich vor allem an Frauen und Männer, die nach der Pogromnacht im November 1938 ins Ausland gegangen sind, um ihr Leben vor den braunen Horden in Sicherheit zu bringen. Nicht immer ist das gelungen: Die Anratherin Jenny Levi-Servos etwa, die 1939 über Den Haag nach Amsterdam geflüchtet war und dort geheiratet hatte, wurde am 25. Mai 1942 ab Westerbork/Holland nach Sobibor deportiert und dort drei Tage später ermordet.

Besser erging es ihrem älteren Bruder Ferdinand. Er hatte 1921 die Deutsch-Amerikanerin Irma Strauss geheiratet und 1925 die Anteile am Erbe seiner Eltern an die Schwester übertragen. 1938 wurde er für einige Zeit im KZ Oranienburg interniert, ein Jahr später wanderte er mit seiner Frau und Sohn Arthur in die USA aus. Er starb im Dezember 1945 in New York. „Sohn Arthur soll im März 1945 beim Einmarsch der US-Truppen als Soldat in Anrath gewesen sein, eindeutig belegen konnten wir das aber nicht“, berichtet Bernd-Dieter Röhrscheid.

Für Jenny und Ferdinand Servos sowie dessen Frau und Sohn werden am 8. Dezember ab 13.15 Uhr Stolpersteine an der Jakob-Krebs-Straße 39 in Anrath verlegt. An der Bahnstraße 9 in Alt-Willich wird eine Stunde zuvor an Angehörige der Familie Lion erinnert: Ernst-Max Lion und seine Schwester Ruth flohen 1939 nach England. Bei Kriegsausbruch flüchtete Ruth Lion ein zweites Mal, diesmal in die USA. Auf dem Schiff lernte sie ihren späteren Mann Fred Rogers kennen. Ihr Bruder wurde als Deutscher in England interniert und kam neun Monate in ein Lager nach Australien. Anschließend trat er der englischen Army bei und kämpfte gegen die Nazis. Er starb 2012 in London.

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