St. Tönis: Abschied - 17 Jungen + 4 Mädchen = eine Schule

21 Viertklässler beenden im Juni am Kirchplatz ihre Grundschulzeit. Ihr Weggang besiegelt auch das Aus der Schule.

St. Tönis. Was hat Tönisvorst mit der nordfriesischen Hallig Gröde gemeinsam? Denken Sie an riesige Windkrafträder, liegen Sie falsch. Riesig führt auf die falsche Fährte. Wir reden von klein. Sehr klein. Von Zwergschulen. Die gibt’s in Nordfriesland. Und mitten in St.Tönis. Am Kirchplatz.

Unter Zwergschule versteht man eine Dorfschule, in der alle Klassenstufen in einem Raum unterrichtet werden. Ein Raum, das trifft so gut wie auf die Gemeinschaftsgrundschule am Kirchplatz zu. Ein Raum. Eine Klasse. Ein viertes Schuljahr.

"Hier lernen wir!" Wir meint 21 Grundschüler. Die letzten Schultage der St. Töniser Kinder bis Juni zählen auch die der Schule an. Denn wenn Jan, Jannik, Kai, Manon und Co., wenn also die 17 Jungen und vier Mädchen in die Sommerferien gehen und auf weiterführende Schulen wechseln, ist die Grundschule am Kirchplatz Geschichte. Die der Kinder. Und die der Stadt.

Geschichte und Herzensangelegenheit ist sie auch für Ulrike Dau. Im Juni 2004 kam sie als Konrektorin ins Kollegium. Nur fünf Monate später hörte sie das erste Mal von Schließungsabsichten. "Der Gedanke an das Aus tut immer noch weh", sagt sie. Wenn sie darüber spricht, ist Trauer greifbar. Motiviert aber bleibt sie. "Gerade die Kinder dieser Klasse haben doch von ihrem ersten Schuljahr an das Thema Schließung hautnah miterlebt." Mit jeder Klasse, die ging, mit jeder Lehrerin, die sich vom Kollegium verabschiedete. "Deswegen", so Dau, "versuchen wir hier, das Beste für die Kinder zu machen."

Der Umzug der Vierten ins Lehrerzimmer war ein Bonbon für die Kinder zu Schuljahresbeginn: "Die waren ganz begeistert, in diesen großen hellen Raum ziehen zu können." Nun lernen sie im ersten Stock, in der Sichtachse zwischen St.Cornelius und dem Schulhof. Dort, wo sich einst das Kollegium versammelte, um Unterricht vorzubereiten und Zeugnisnoten zu besprechen.

Ein Lehrerzimmer ist nicht mehr nötig. Ulrike Dau gibt zehn Unterrichtsstunden in der Woche am Kirchplatz. Hinzu kommen sechs Verwaltungsstunden. Seit Februar leitet sie die Grundschule Corneliusstraße, an der sie nun zwölf Stunden verbringt. "Kolleginnen von dort unterrichten dann hier am Kirchplatz Englisch, Sport, Kunst und Musik."

Ulrike Dau kündigt die Pause an. Ein Gong geht nicht. "Die Klingelanlage habe ich abschalten lassen. So können wir unseren Vormittag strukturieren, wie wir wollen." Bei gutem Wetter Unterricht draußen, kein Problem. Man stört ja nicht andere Klassen.

Ein Vorteil der Mini-Schule. Und: "In den Pausen genießen die Kinder es, das gesamte Spielgerät für sich nutzen zu können. Außerdem haben wir einen Bewegungsraum, den wir jederzeit aufschließen können."

Schule pur gibt’s im Klassenzimmer. Das Thema "Zeitung" steht an diesem Morgen auf dem Plan. Wie kommt eine Nachricht ins Blatt? Wie wird sie verfasst? Die Kinder arbeiten konzentriert an Aufgabenblättern. Sie besprechen sich in Teams, helfen sich gegenseitig, lesen in der Frühstückspause Zeitung.

Heute lesen sie sicher auch. Denn heute steht dieser Artikel drin. Über eine kleine verschworene Gemeinschaft. Eine Klasse. Eine Schule. Ganz groß.

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