Urteil: Ein Integrationshelfer für Sebastian

Das Landessozialgericht hat einem 14-Jährigen einen Integrationshelfer an die Seite gestellt. Der Kreis Viersen muss zahlen.

Urteil: Ein Integrationshelfer für Sebastian
Foto: Kurt Lübke

Neersen. Sebastian geht gerne zur Schule. Seine Lieblingsfächer sind Biologie und Werken. Doch der Schulalltag ist für den 14-Jährigen nicht immer einfach. Denn er leidet unter einer leichten Hirnschädigung aufgrund eines „fetalen Alkoholsyndroms“. Die leibliche Mutter hatte in der Schwangerschaft getrunken. Mit knapp drei Jahren kam der Junge zunächst als Pflegekind zur Familie Möller in Neersen, die ihn dann später adoptierte.

„Sebastian verhält sich bisweilen nicht angepasst. Er lässt sich von Impulsen leiten“, erklärt Cornelia Möller. Auch sein Zahlenverständnis sei nicht sonderlich gut.

Daher beantragten die Eltern für Sebastian einen Integrationshelfer, der ihm beim Unterricht in einer „normalen“ Schule zur Seite stehen sollte. Als dieser Antrag mehrfach von verschiedenen Stellen abgelehnt wurde, ging die Familie im Dezember 2012 vor Gericht. Nun hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in einem Eilverfahren entschieden, dass der Kreis Viersen den Integrationshelfer bezahlen muss.

Das Urteil hat Schlagzeilen gemacht. Auch die WZ berichtete bereits. Denn der Prozess hat eine politische Dimension. Der Kreis Viersen, der nun zahlen soll, fordert Hilfe vom Land NRW ein. Das Land dagegen sieht den Bund in der Pflicht. Der Streit ist noch lange nicht zu Ende. Das Gericht betonte aber, dass die Kinder darunter nicht leiden dürften.

Diese Querelen können der Familie Möller erst einmal egal sein. Sie freut sich über das Urteil. „Wir waren zuerst wie in einer Schockstarre. Keiner hatte mehr damit gerechnet“, sagt Cornelia Möller. Auch Sebastian wisse, dass er Hilfe braucht. Nun sei er richtig happy.

Seit einigen Tagen steht Sebastian nun ein junger Mann zur Seite, der Bundesfreiwilligendienst leistet, ein sogenannter „Bufdi“. Von morgens bis zum Schulschluss am Nachmittag begleitet der Integrationshelfer den Schüler, der eine Hauptschule in Neuwerk besucht, durch den Schulalltag — auch in den Pausen. Wenn es mal hakt, springt er zur Seite.

Er hilft Sebastian dabei, Sachen ein- und auszupacken, sein Verhalten zu kontrollieren, Informationen von der Tafel abzuschreiben, in der Mensa zu essen oder ermahnt den Achtklässler zur Konzentration im Unterricht. „Er ist ein richtiger Anker für Sebastian“, sagt Cornelia Möller.

Der Weg zu diesem Erfolg war für die Familie lang. Die Diagnose, dass Sebastian an der Hirnschädigung leidet, wurde im Mai 2012 gestellt. Neben der intensiven Förderung und den zusätzlichen Anstrengungen, die ein behindertes Kind mit sich bringen, kostete der Kampf um den Integrationshelfer die Eltern zusätzlich viel Zeit und Kraft.

„Das ist ein Vollzeitjob“, blickt Cornelia Möller zurück. Jugendamt und Sozialamt schoben sich gegenseitig die Zuständigkeit zu. Die Familie musste viele Telefonate führen, immer wieder Gutachten beibringen, Absagen einstecken und sich Sätze anhören wie: „Dann melden Sie Ihren Sohn doch an einer Förderschule an.“ Und das in einer Zeit, in der das Thema gemeinsamer Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Kindern immer mehr Bedeutung erhält.

Zunächst besuchte Sebastian die Realschule in Schiefbahn. Die musste er aber verlassen. „Mit einem Integrationshelfer hätte er sicher auf der Realschule bleiben können“, sagt die Mutter. Aber es dauerte einfach alles viel zu lang.

Nun hofft die Familie, mit dem erfolgreichen Prozess auch anderen Betroffenen den Weg geebnet zu haben.

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