Jupp Heynckes: Die Kunst ist, sich oben zu halten

Mönchengladbach. Vor dem Gastpiel bei seinem Ex-Klub spricht Bayern-Trainer Jupp Heynckes über den Aufschwung in Gladbach, Trainer Lucien Favre und Marco Reus.

Herr Heynckes, ist eine Dienstreise nach Mönchengladbach für Sie Alltagsgeschäft oder ertappen Sie sich dabei auch schon einmal, in alten Zeiten zu schwelgen?

Jupp Heynckes: Nein, ich bin beim FC Bayern angestellt. Ich habe aber immer noch gute Kontakte zur Borussia, auch zum Präsidium. Mit Rainer Bonhof bin ich befreundet. Daher ist das natürlich ein etwas anderes Spiel. Nur, die alten Zeiten sind entrückt. Das liegt weit zurück. Wir sehen uns jetzt in 2012. Es ist ein Spiel, in dem es für mich um drei Punkte geht.

Die Gladbacher Fans huldigen Ihrem Kollegen Lucien Favre mit dem Beinamen Hennes. Erkennen Sie im Spiel der aktuellen Gladbacher Mannschaft Merkmale aus den Zeiten der Fohlenelf?

Heynckes: Heutzutage ist man schnell mit Superlativen zur Hand. Ich halte mich da lieber etwas zurück. Man muss eine solche Leistung über Jahre bestätigen. Dann kann man ein Resümee ziehen, in welcher Kategorie die Mannschaft sich bewegt. Im Moment ist es zu früh, irgendwelche Vergleiche anzustellen.

Ist Lucien Favre auch ein Trainer, der in Zukunft mal Bayern München trainieren kann?

Heynckes: Um einen Kollegen beurteilen zu können, muss man ihn bei der täglichen Arbeit kennenlernen, wie er mit den Spielern kommuniziert, seine Besprechungen abhält. Die Borussia hat eine fantastische Serie unter Lucien Favre gespielt. Ob er mal die Bayern trainieren kann, das sollte ich wirklich nicht beantworten.

Haben Sie denn aus alter Verbundenheit lieber Borussia Mönchengladbach im Nacken als irgendeinen anderen Klub?

Heynckes: Nein, aber ich freue mich, das Borussia wieder erfolgreich ist. Ich finde es sehr positiv, dass die Borussia im Konzert der Großen wieder mitspielt.

Glauben Sie, dass Borussia sich langfristig in der Spitze etablieren kann?

Heynckes: Die Kunst ist es, sich oben zu halten — für Spieler wie für Klubs. Nach den Abgängen von Reus und Neustädter muss Manager Max Eberl die Mannschaft jetzt entsprechend verstärken.

Hätten Sie Gladbach nach dem Hinspielsieg zugetraut, dass das Rückspiel jetzt ein echtes Spitzenspiel ist?

Heynckes: Vorauszusehen war nicht unbedingt, dass die Mannschaft eine so stabile Hinrunde spielen würde. Aber wenn ein Team wenig Gegentore hinnehmen muss, hat sie ein Merkmal, um erfolgreich zu sein.

Im Hinspiel kam Gladbach als Fast-Absteiger nach München. Die Situation ist jetzt eine andere. Hat sich dadurch auch für Ihre Mannschaft etwas geändert?

Heynckes: Ja, Gladbach weiß um seine Stärke. Das ist eine andere Ausgangsposition zum Hinspiel. Wir hatten eine gute Vorbereitung und wollen natürlich gewinnen. Traditionsgemäß war es für die Bayern aber immer schwierig in Gladbach.

Halten Sie es für wahrscheinlicher, dass Gladbach die Qualifikation für Europa schafft?

Heynckes: Gladbach hat große Chancen, den europäischen Wettbewerb zu erreichen. Ob es ganz bis nach oben reicht, also die Champions League, sei mal dahingestellt.

Ist Marco Reus der entscheidenden Unterschied zwischen Mittelmaß und dem Angriff auf Europa?

Heynckes: Gladbach ist deshalb erfolgreich, weil es eine gute Mannschaft hat. Die Automatismen stimmen, die Defensive ist sehr gut organisiert. Natürlich gehören zu jeder Mannschaft Spieler, die den Unterschied ausmachen. Das ist Marco Reus zweifellos.

Sie planen die neue Saison ohne Marco Reus. Haben Sie persönlich mit ihm oder seinem Berater im Vorfeld des Wechsels nach Dortmund eigentlich ein Gespräch geführt?

Heynckes: Ich will nur folgendes dazu sagen: Ich bin der Meinung, dass Marco Reus eine gute Entscheidung getroffen hat. Seine Familie lebt dort, seine Freundin. Er hat in Dortmund ganz andere Möglichkeiten, kontinuierlich zu Spielen als beim FC Bayern, weil hier der Konkurrenzkampf viel größer ist. Ich hatte gute Quellen und wusste weit vorher, dass Dortmund mit Reus klar war.

In vier Monaten ist das Champions League Finale in München. Wie schmal empfinden Sie den Grat zwischen dem großen Wunsch, dort spielen zu können, und dem möglichen Scheitern?

Heynckes: Was heißt scheitern? Mit Manchester United ist ein Favorit bereits ausgeschieden. Jetzt im K.o.-System kann alles passieren. Wir haben große Ambitionen, so weit wie möglich zu kommen. Das hängt von vielen Faktoren ab, Verletzungspech, Formschwankungen. Planen kann man das nicht. Natürlich wollen wir dabei sein, wenn das Finale in München gespielt wird. Aber es wird wahnsinnig schwer.

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