Sie spielte mit Angela im Garten

Bärbel Echtner lernte die heutige Kanzlerin in Kindertagen kennen. Jetzt schrieb sie ihr einen Brief.

Mönchengladbach. Es war einmal ein kleines Mädchen namens Bärbel, die spielte mit ihrer Schwester in einem Garten in Brandenburg. Es war der Garten ihrer Großeltern und der war durch einen Zaun von der Pfarrei getrennt. Auf der anderen Seite des Zauns stand auch ein kleines Mädchen, ganz allein. Es wollte mit den anderen Kindern spielen und Bärbels Oma hob die dreijährige Angela herüber. Oft stand Angela so hinter dem Zaun. Oft spielten die drei zusammen. Heute ist Angela Bundeskanzlerin. Bärbel wohnt in Rheydt. Nach 50Jahren hat Bärbel einen Brief an Angela geschrieben - und eine Antwort bekommen.

Aber der Reihe nach: Es war das Dorf Quitzow, in dem Bärbel - und auch Angela - die ersten Jahre ihres Lebens verbrachten. Ein Dorf mit Mitte der 50er Jahre vielleicht 400 oder 500 Bewohnern, wie Bärbel Echtner, geborene Guhl, sich erinnert. "Viele davon gehörten zur Familie."

Es gab gerade so viele Kinder, dass vier Klassen gemeinsam im einzigen Klassenzimmer saßen. Auf ihrem Schulfoto sind zwei Dutzend Mädchen und Jungen. "Hier im Hintergrund, das ist die Mauer vom Pfarrhaus", sagt die heute 57-Jährige beim Blick ins Familienalbum. Von der Pfarrei selbst, dem Garten ihrer Großeltern oder sogar Angela Merkel hat sie keine Fotos.

Aber sie erinnert sich, dass es dieses kleine Mädchen, das drei Jahre jünger war als sie, gab. "Wer das war und was aus ihr wurde, darauf hat mich erst meine Mutter gebracht", erzählt die gebürtige Perlebergerin. Das war, als Merkel Kanzlerin wurde. Für Bärbel Echtner ist die Tatsache, dass sie mit der heutigen Kanzlerin gespielt hat, eine "kleine Episode am Rande des Weltgeschehens". Etwas, was man mal den Kindern und Enkelkindern erzählt, aber nichts, um das die bescheidene Frau von der Römerstraße Aufhebens machen wollte.

Trotzdem ließ sie die Idee, einen Brief nach Berlin zu schicken, nicht los. Anderseits wollte sie ihn auch wieder nicht senden, "weil er doch bestimmt sowieso in die Mülltonne kommt". Sie war sich sicher, dass die Bundeskanzlerin "viele solcher Briefe bekommt, schon wenn jemand mal neben ihr beim Metzger gestanden hat".

Schließlich tat sie es doch und schrieb der Kanzlerin von der "eigentlich unwichtigen und vielleicht bedeutungslosen, aber trotzdem wahren Begebenheit", dem gemeinsamen Kinderspiel und dass sie sich noch an die Bienenstöcke von Merkels Vater, damals Pfarrer des Dorfs, erinnern könne.

Was sie auch schrieb: Dass Angela Merkel mit ihrer Familie 1957 nach Templin zog und sich ihre Wege trennten. Und dass Bärbel selbst nur etwa drei Jahre länger in Quitzow lebte.

Nicht nur ihre Wege trennten sich, die ganze Welt, die Bärbel kannte, sollte sich trennen. Während Angela im Osten aufwuchs, entschied sich Bärbels Vater Walter zum folgenschweren Schritt. Bärbel Echtner weiß noch, dass sich eines Abends bei Oma die Verwandten trafen. Alle weinten. "Das sitzt mir heute noch in den Knochen."

Es war der Tag des großen Abschieds. "Ich weiß noch, dass wir mit einem Taxi durch die Felder gefahren sind, ohne Scheinwerfer durchs Dunkel." Einen Monat später wurde die Mauer gebaut. "Mein Vater wollte rüber. Er hatte das Gefühl, dass die Grenze dicht gemacht wird. Seine Eltern waren schon 1953/1954 nach Wachtendonk gegangen."

Das erste Jahr verbrachte die Familie im Auffanglager in Berlin, dann im Lager Wickrath. Bärbel besuchte die Volksschule Charlottenstraße, machte eine Lehre als Tuchstopferin, arbeitete im Textillabor von Busch & Hoffmann.

Mit 14 oder 15 Jahren besuchte sie mit ihrer Schwester die Verwandten jenseits der Mauer. Sie erinnert sich an die Angst, als Männer mit Maschinenpistolen den Zug kontrollierten. Auch als die Rheydterin später mit Mann und Tochter Mareen die Grenzen passierte, erlebte sie stets diese Angst. Mareen habe als Kind sogar geweint, wenn sie über die Grenze nach Holland fuhren.

Heute ist Mareen 33 Jahre alt. Es gibt noch Sohn David (25) und drei Enkel. Echtner arbeitet in der UPS-Poststelle in Neuss. Vom dritten Enkelkind und der Poststelle hat sie auch Angela Merkel geschrieben. Und "wirklich nicht mit einer Antwort gerechnet". Aber sie kam.

Der Umschlag mit dem Absender "Bundeskanzleramt Willy-Brandt-Straße 1" lag irgendwann in ihrer Post. Der Gladbacher CDU-Bundestagsabgeordnete Günter Krings hatte ihren Brief und ein Kinderfoto von Bärbel mit ihrer Schwester mit nach Berlin genommen.

Merkel bedankt sich herzlich, gesteht aber zu ihrem "Bedauern", dass sie sich nicht an "gemeinsame Erlebnisse" erinnert. Die Zeiten ihrer "frühen Kindheit in Quitzow liegen zweifellos mehr als ein Weilchen zurück", schreibt die Kanzlerin und wünscht "alles erdenklich Gute". Echtner hat es gefreut, "dass ich überhaupt eine Antwort bekommen habe".

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