Abschied vom letzten Zivi

Hans Scholten gibt Lukas Rösgen eine Schatztruhe mit auf den Weg. In vielen Einrichtungen gibt es große Probleme.

Dormagen. Das Geschenk für seinen letzten Zivi hat Hans Scholten mit Bedacht gewählt. Er gibt Lukas Rösgen eine kleine Schatztruhe mit auf den Weg, gefüllt mit Andenken an neun Monate, die der 20-Jährige seinen Dienst im Raphaelshaus versehen hat.

„Die Zivis waren ein Schatz für uns, sie haben uns nicht nur in der täglichen Arbeit unterstützt, sondern waren auch hervorragende Botschafter für unser Haus“, sagt Scholten seufzend.

In seinen 25 Jahren als Leiter des Raphaelshauses hat der 61-Jährige nach eigener Schätzung rund 150 Zivis beschäftigt. Die jungen Männer, meist Abiturienten, übernahmen Fahrdienste, gaben Nachhilfe, kümmerten sich um die Haustechnik oder unterstützten die Pädagogen in den Tagesgruppen. Diese Hilfe fehlt im Moment an allen Enden.

Nur die Hälfte seiner zwölf Zivi-Stellen hat Scholten mit jungen Menschen im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) besetzen können. Die sind zwar ebenso engagiert wie die Zivis, aber weniger an der Zahl, vor allem auch weniger planbar. „Sie kommen oft sehr kurzfristig, haben vielleicht keinen Studienplatz oder keine Lehrstelle bekommen und entscheiden sich spontan für das FSJ“, schildert Scholten die Schwierigkeit.

Der 61-Jährige hat eine „Riesenwut“ auf Ex-Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg, der die Wehrpflicht abgeschafft ohne Rücksicht auf die Konsequenzen für den sozialen Bereich abgeschafft habe. Der Bundesfreiwilligendienst, eingeführt als Ersatz für den Zivildienst und offen auch für Frauen und Bewerber über 27 Jahre, steckt noch in den Kinderschuhen. „Die einmalige Chance, alle jungen Menschen vor dem Eintritt ins Berufsleben zum Dienst an der Gesellschaft zu verpflichten, ist vertan“, sagt Scholten.

Das Raphaelshaus steht mit den Problemen nicht alleine da. Auch das Kreiskrankenhaus in Hackenbroich muss sich umstellen. „Unser gesamter Patiententransportdienst wurde von Zivis bestritten, das ist komplett weggefallen“´, berichtet Pflegedienstleiterin Birgit van den Berg. Teilzeitkräfte kompensieren die vorher 15 Zivistellen, auch vier „Bufdis“ sind im Einsatz. Van den Berg hält das Modell schon „für sehr sinnvoll“, so richtig angekommen sei es im Krankenhaus allerdings noch nicht.

Im von der Diakonie getragenen Seniorenzentrum Markuskirche konnte Pflegedienstleitern Melanie Probst von sechs offenen Stellen zu Monatsbeginn nur drei über das FSJ besetzen. Ein „Bufdi“ hat sich bei Probst noch nicht beworben. Auch im Team der Diakonie-Pflegestation fehlen zwei Zivis.

Pflegedienstleiterin Sandra Effertz hat ihre Kunden schon frühzeitig über mögliche Folgen der Gesetzesänderung informiert. „Teilweise musste in Abstimmung mit den Pflegekunden das Leistungsangebot eingestellt werden, die Begleitung bei Spaziergängen oder Einkäufen zum Beispiel. Ein Stück Lebensqualität geht verloren, für manche Kunden ist das furchtbar.“

Bernd Gellrich fürchtet neben der akuten Lücke auch eine langfristige Auswirkung des Zivi-Endes. „Es entfällt ein erfolgreicher Weg, junge Menschen für einen sozialen Beruf zu interessieren und den steigenden Bedarf an Berufsanfängern in den Pflegeberufen zu decken“, meint der Geschäftsführer des Diakonischen Werkes.

Es gibt jedoch Institutionen, die auch ohne Zivildienstleistende keinen Mangel leiden. Hans-Peter König koordiniert beim TSV Bayer Dormagen die Themen Sport und Bildung. Er vermeldet für seine sechs FSJ-Stellen eine Besetzungsquote von 100 Prozent. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig, Fahrdienste für das Teilinternat oder die pädagogische Betreuung an den vom TSV getragenen offenen Ganztagsschulen für junge Menschen offenbar attraktiv.

Fazit: Vor allem soziale Einrichtungen leiden unter dem Ende des Zivildienstes. Hans Scholten indes glaubt, dass auch auf der anderen Seite Verlierer stehen — junge Menschen, die ohne gesetzliche Verpflichtung wahrscheinlich immer seltener die Chance nutzen werden, sich zwischen Schule und Studium oder Beruf ein paar Monate lang im karitativen Bereich zu versuchen.

Auch Lukas Rösgen wäre ohne Einberufungsbescheid kaum im Raphaelshaus gelandet. Er selbst ist rückblickend froh, noch verpflichtend reingerutscht zu sein. „Man muss manchmal zu seinem Glück gezwungen werden“, sagt er lachend. Seinen Berufswunsch fand Lukas nach neun Monaten im Raphaelshaus bestätigt. Er beginnt im Wintersemester ein Lehramtsstudium.

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