Betroffenheit im Stasi-Keller

Zum Tag der Deutschen Einheit berichtete Lisa Brämswig (18) auch von Desinteresse.

Kaarst. „Wir glauben an die Kraft der Freiheit. Wir wollen keine Gewalt, sondern binden uns an das Recht“, sagte Bürgermeister Franz-Josef Moormann beim Festakt zum Tag der Deutschen Einheit am Montag vor Kaarster Bürgern und Ehrengästen im Atrium des Bürgerhauses.

Zunächst rief Moormann den Anwesenden die Vorträge von Joachim Gauck und Roland Jahn in Erinnerung, die in Kaarst ihren Zuhörer nahegebracht hatten, was es heißt, in Freiheit zu leben — selbst in einem System, das keine Freiheit gewährte.

Moormann plädierte dafür, sich für eine Einheit auf europäischer Ebene einzusetzen. 21 Jahre nach der Wiedervereinigung hält der Bürgermeister es aber auch für wichtig, dass junge Menschen, die das geteilte Deutschland nicht mehr erlebt haben, sich mit der Wiedervereinigung auseinandersetzen. Deshalb begrüßte er auch Lisa Brämswig als Gastrednerin.

Die 18 Jahre alte Schülerin des Georg-Büchner-Gymnasiums hat nach eigener Aussage keine Berührungspunkte mit der deutsch-deutschen Vergangenheit, da sie weder Verwandte noch Freunde in Ostdeutschland habe. Bewegend schilderte sie den Zuhörern aber ihr Schlüsselerlebnis bei ihrem ersten Besuch in Berlin im vergangenen Jahr. Da die Kaarster Schüler der Vergangenheit hatten nachspüren wollen, informierten sie sich unter anderem im ehemaligen Stasi-Gefängnis.

Die Besichtigung der Kellerkammern, die weder Bett noch Fenster hatten und geflutet werden konnten, sowie der Zellen der Gefangenen, in denen sie nachts auf Holzliegen mit nach hinten gebundenen Händen schlafen mussten, machte Lisa und ihre Freunde tief betroffen. Noch mehr berührten sie die Schicksale der jugendlichen Insassen des Gefängnisses, nachdem sie erfuhren, dass auch ihr Führer durch das Gefängnis hier als Jugendlicher eingesessen hatte. Er wurde verhaftet, nachdem er einen Ausreiseantrag gestellt hatte. So konnte der Mann den Schülern aus Kaarst nicht nur Fakten über die damaligen Vorgänge liefern, sondern auch die Ängste und Gefühle der Gefangenen schildern.

Sie sehe aber auch, bekannte Lisa Brämswig, dass das Desinteresse vor allem bei Jugendlichen sehr groß sei. Der Geschichtsunterricht vermittelt zwar Fakten, aber kein Bewusstsein. „Fühlen ist das einzige, was wirklich etwas bringt“, schloss sie ihre Rede.

Hauptredner des Festaktes war Rüdiger Sielaff, Leiter der Außenstelle Frankfurt/Oder des Bundesbeauftragten für die Sicherung der Stasi-Unterlagen. Er berichtete anhand ergreifender Beispiele über den Einfallsreichtum der DDR-Bürger bei ihren Fluchtversuchen, aber auch über die Konsequenzen der vielen gescheiterten Versuche, in den Westen zu gelangen.

Musikalisch begleitet wurde der Festakt durch die Junge Sinfonie Kaarst unter dem Dirigenten Tobias van de Locht. Zum Abschluss sangen die Teilnehmer die Nationalhymne, die Marseillaise und die Europahymne.

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