Clemens-Sels-Museum zeigt naive Kunst aus Polen

„Mit unverstelltem Blick“: Kunst, die aus dem Herzen kommt.

Neuss. Schemenhaft angedeutete Körper von Badenden, der von gleichförmigen Häusern begrenzte Kanal macht eine scharfe Biegung, deren Dynamik auch die Häuser zu erfassen scheint — so beschreibt Kurator Martin Langenberg ein Aquarell des polnischen Malers Nikifor. Er ist einer der bekanntesten Vertreter naiver Kunst aus Polen. Einige seiner auf mehrere 10 000 Arbeiten geschätzten Werke sind ab Sonntag im Feld-Haus auf der Raketenstation zu sehen.

Das Clemens-Sels-Museum besitzt eine der größten Sammlungen für Naive Kunst in Deutschland. Unter den 800 Werken von rund 150 Künstlern befinden sich mehr als 250 Arbeiten polnischer Künstler. Unter dem Titel „Mit unverstelltem Blick“ wird eine Auswahl von 30 Gemälden und 54 Skulpturen authentisch-naiver polnischer Kunst gezeigt.

Frei von akademischen Zwängen und jenseits aller gängigen ästhetischen Normen, eben „mit unverstelltem Blick“, haben die Künstler ausdrucksstarke Kunstwerke geschaffen — sie sind Autodidakten. Ihre Stärke ist die Unbeholfenheit, mit der sie sich ihrer Kunst widmen. Thematisch orientieren sich Maler wie Katarzyna Gaw owa und Bildhauer wie Stanis aw Denkiewicz an ihrer Lebenswirklichkeit. Bunt und unförmig sind die Ergebnisse oft. Und doch entdeckt man in ihnen interessante Details.

Der rastende Christus — im tief katholischen Polen ein beliebtes Motiv der naiven Bildhauer — fasziniert auch den Kurator: „,Der betrübte Christus’ ist ein Beispiel dafür, wie aus scheinbar gestalterischer Unfähigkeit der gewünschte Ausdruck entstehen kann“, sagt er und zeigt auf den überdimensionalen Kopf, der für ihn die Übermüdung des Gottessohnes symbolisiert.

Unter den Bildschnitzern findet sich mit Filomena Robakowska nur eine Frau. Das erklärt Langenberg dadurch, dass es im ländlichen Polen die Jungen waren, die sich beim Schafehüten mit Holzschnitzereien beschäftigten.

Das Ausstellungsstück mit der Nummer 62, das Filomena Robakowska 1970 geschaffen hat, offenbart die offene Geisteshaltung, die sich manch naiver Künstler im Polen in Zeiten des Kalten Krieges bewahrt hat. Vielleicht ist die Figur mit dem Titel „Madame Curie“ aber auch Zeugnis einer emanzipatorischen Einstellung. Der unverstellte Blick bietet genügend Freiraum für Interpretationen.

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