„Die Diagnose war die Rettung“

Die Legasthenie ihrer Kinder machte eine Wuppertaler Mutter zur Buchautorin.

„Die Diagnose war die Rettung“
Foto: Uwe Schinkel

Wuppertal. Als Mutter zweier legasthener Kinder hat Enid Heynel einen 13 Jahre dauernden Leidensweg hinter sich — vor vier Jahren stand dann die Diagnose. Jetzt hat die Wuppertalerin ein Buch zum Thema veröffentlicht. „Die Verschiedenheit der Köpfe“ beschreibt nicht nur ihre eigenen Erfahrungen, sondern wirbt auch für die Akzeptanz jedes einzelnen Kindes im Bildungssystem. Ungeachtet seiner Stärken und Schwächen.

Frau Heynel, wie haben Sie überhaupt bemerkt, dass Ihre Kinder Legastheniker sind?

Enid Heynel: Meine Tochter hat eine leichte Legasthenie und Dyskalkulie, mein Sohn eine schwere Form der sogenannten erbbedingten visuellen Legasthenie. Durch einen Hinweis eines Gestalttherapeuten ließ ich ihn testen. Erst als seine Diagnose stand, bin ich auch bei meiner Tochter darauf gekommen

Wie wirkt sich diese Störung aus?

Heynel: Mein Sohn war schon im Alter von zwei Jahren auffällig. Er konnte keinen Blickkontakt halten und große Menschenansammlungen waren ihm zuwider. Selbst auf Familientreffen ist er ausgeflippt. Nur im Wald und in der Natur hat er zur Ruhe gefunden. Hilfe hatte ich damals keine, im Bekanntenkreis hieß es nur immer „Das wächst sich noch aus.“ Doch jede Legasthenie ist individuell.

Was haben Sie dann gemacht?

Heynel: Als er in den Kindergarten kam, wurde es noch schlimmer. Mein Sohn kam mit Veränderungen seines Rhythmus’ überhaupt nicht zurecht. Als er vier war, habe ich schließlich den Kinderarzt darauf angesprochen.

Und dann kam die Diagnose Legasthenie?

Heynel: Nein, lange nicht. Reizüberflutung, Wahrnehmungsstörung und soziale Störung hieß es. Ich selbst hatte schon in Richtung Autismus oder Asperger-Syndrom gedacht. Eine Heilpädagogin diagnostizierte dann noch weitere Störungen.

Wie hat ihr Sohn selbst das empfunden?

Heynel: Er ist sehr wissbegierig, in der Grundschule fühlte er sich oft unterfordert, an anderen Stellen wieder überfordert. Er hatte schon früh einen großen Wortschatz, ist sprachlich sehr gewandt. Ihm fehlen aber die organisatorischen Fähigkeiten, sein Wissen und Können in strukturierte Bahnen zu lenken. In der Schule wurde ihm dabei auch nicht geholfen, so dass er nur negative Erlebnisse hatte und ständig dachte, er sei zu dumm. Das ging soweit, dass er im Grundschulalter offen gesagt hat, dass er eher nicht mehr leben möchte, als in die Schule zu gehen.

Was hat ihm denn letztlich geholfen?

Heynel: Vor allem die Diagnose, sein Problem hatte einen Namen. Ihm ist ein Stein vom Herzen gefallen. Er wusste jetzt: ich kann nichts dafür, ich bin nicht dumm. Er bekam eine 2jährige Legasthenieförderung. Inzwischen besucht er ein Gymnasium, hat sehr gute Noten. Er kann aber bis heute keine Schreibschrift, sondern nur Druckbuchstaben. Und er braucht einen klaren Rhythmus im Alltag sowie einfache Ansagen.

Was hat Sie all die Jahre am meisten gestört?

Heynel: Das sich nur wenige auf die Andersartigkeit des Jungen eingelassen haben. Beim ihm geht nur eines nach dem anderen. Aber unser Bildungssystem ist darauf nicht ausgelegt. Rechnen, lesen und schreiben sind nun einmal Schlüsselqualifikationen in unserer Gesellschaft. Es war oft schwierig mit Lehrern ins Gespräch zu kommen. Oft wurde uns zur Sonderschule geraten.

Was möchten Sie mit ihrem Buch erreichen?

Heynel: In erster Linie soll das Buch Eltern betroffener Kinder helfen. Mein Wunsch wäre es aber auch, wenn sich etwas in der Bildungspolitik verändern würde. Und wenn es zunächst nur die Einstellung der Verantwortlichen zu diesem Thema wäre. In Zeiten der Inklusion sollten wir erkennen, dass Kinder nicht normal oder krank, gestört oder behindert sind, sondern dass sie alle einfach anders sind.

Was raten Sie anderen Eltern?

Heynel: Auf das eigene Kind hören, nicht auf vermeintliche Fachleute. Und das Kind motivieren, ihm das Vertrauen geben: Du kannst das.

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