Holprige Premiere: Die erste Ratssitzung mit Live-Übertragung

Wuppertals Stadtrat im TV — hartes Brot für den Zuschauer. Ein persönliches Protokoll.

Wuppertal. Der Stadtrat — Herzkammer der Wuppertaler Demokratie. Am Montag trat das Gremium in ein neues Zeitalter ein: Im Zeichen der Transparenz war die Sitzung komplett im Internet zu verfolgen. Für einen Redakteur, für den Ratssitzungen nicht zum Tagesgeschäft gehören, ein wunderbarer Kontakt mit demokratischer Basisarbeit im Tal. Punkt 16 Uhr ist allerdings der Bildschirm schwarz. „Bleiben Sie dran!“, steht im Dunkeln. Zu Befehl!

16.05 Uhr „,. . .begrüße ich Sie ganz herzlich“, sagt plötzlich Oberbürgermeister Peter Jung (CDU) — und läuft aus dem Bild. Offenbar überreicht er jemandem einen Blumenstrauß — wem, ist nicht zu sehen. Hallo, Regie!

16.10 Uhr: Der Übertragungsqualität nach zu urteilen, tagt der Rat auf dem Mond. Interessant: Kämmerer Johannes Slawig beantwortet eine Frage von Heribert Stenzel (WfW) zum Kohlekraftwerk Wilhelmshaven. Dann ist Jörn Suika (FDP) an der Reihe. „Machen wir doch mal kurz die Kamera aus“, fordert der FDP-Mann. Sofort ist das Bild weg! Danke für diese Lektion in Sachen Transparenz.

16.17 Uhr: „Das ist ein ganz, ganz zähes Geschäft“, sagt Slawig über ein Gewerbegrundstück an der Hastener Straße, das keinen Abnehmer findet. Zugleich eine wunderbare Charakterisierung dieser Sendung. Wäre Rats-TV eine Kaffeesorte, wäre sie Gala Reizarm. Wieder ist der Ton weg.

16.43 Uhr: „Wir haben den Bevölkerungsrückgang gestoppt!“ Klaus Lüdemann (Grüne) lässt in einer dahinplätschernden Sitzung mit kühnen Thesen aufhorchen. Die darauffolgende Debatte zum Thema Zensus 2011 endet mit den Worten Peter Jungs: „Das, worüber auch immer wir gerade abgestimmt haben, ist abgelehnt.“ Begeisternd, diese tiefe Auseinandersetzung mit Inhalten.

17.05 Uhr: Wäre Rats-TV ein Film, wäre es — ja was? Am ehesten eine Mischung aus „Stirb langsam“ und „Ein Käfig voller Narren“. Leidenschaftlich diskutieren die Ratsherren über die mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus. Zur Erinnerung: Es handelt sich hier um ein Bundesprogramm, Wuppertals Stadtpolitiker können gar nichts entscheiden. Herrlich, wenn man mal — frei von der Last der Verantwortung — rhetorische Girlanden winden kann.

17.27 Uhr: Besonders telegen: Klaus-Jürgen Reese (SPD). Mit sonorem Timbre weist er die Antragsteller kleiner Parteien immer wieder zurecht, dass ihre Eingaben (a) überflüssig oder (b) falsch sind. Sein Standardsatz: „Wir beschließen hier einfach nichts.“ Fügt sich wunderbar in die Rolle des Bösewichts dieses Films, vielleicht deswegen von der Regie mit einer Darth-Vader-mäßigen Lautstärke bedacht. Das Imperium schlägt zurück.

17.56 Uhr: Lieber Herr Oberbürgermeister, Achtung! Sie sind nun unter Dauer-Beobachtung. Wenn vor Ihnen jemand am Rednerpult steht und Sie plötzlich mit einem unsichtbaren Gegenüber in ulkige Zeichensprache verfallen, sieht das potenziell die ganze Welt. Wenn nicht wieder das Bild ausfällt.

18.37 Uhr: Fast einstimmig wird Verwaltungsdirektor Norbert Dölle zum neuen Betriebsleiter der städtischen Wasserversorgung bestellt. Der Tag hat zumindest einen Gewinner.

18.40 Uhr: Aus, aus, aus — die Sitzung ist durch! „Der Tag war eine Herausforderung“, sagt Peter Jung wahrheitsgemäß, ehe sein Schlusswort in einer finalen Tonstörung versackt. Passendes Ende einer Sitzung, die noch ganz viel Luft nach oben hat — technisch wie inhaltlich. Die gute Nachricht: Ob unsere Politiker Fortschritte machen, können wir alle ganz bequem verfolgten — demnächst in diesem Kino.

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