Familie Höllerhagen und der Jazz: Erinnerungen an „Ernie“

Ernst Höllerhagens Stiefschwester plaudert aus dem Nähkästchen.

Wuppertal. „Er war ein Clown — immer zu Späßen aufgelegt.“ Martha Blockhaus lächelt, wenn sie von ihrem Stiefbruder Ernst Höllerhagen spricht. Und die 80-Jährige lächelt viel. Denn der berühmte Jazz-Musiker (1912-1956), gebürtige Barmer und leidenschaftliche Entertainer spielte sich nicht nur in die Herzen unzähliger Jazz-Liebhaber. Auch zu Hause wurde seine Karriere aufmerksam verfolgt: Höllerhagens allergrößter Fan ist sicherlich seine Stiefschwester — bis heute.

Wenn die Sonnbornerin erzählt, scheint es fast so, als sei die Zeit stehengeblieben. „Zwischen uns lagen zwar 18 Jahre Altersunterschied. Aber zum Glück habe ich ein gutes Gedächtnis. Jede Minute, jede Begegnung mit ihm ist mir in Erinnerung geblieben.“ Mit viel Liebe spricht sie von Ernie, ihrem großen Bruder Ernst. „Er war mein ganzer Stolz.“

Stolz ist sie auch auf die kleine Stehuhr, die im Esszimmer auf einem schmalen Wandbrett thront. Wenn sie am Tisch darunter selbst gebackenen Apfelkuchen, alte Fotos und allerlei Anekdoten serviert, richtet sie den Blick auch immer wieder nach oben — in Richtung Uhr. Der Swing-Star hat sie seiner Stiefschwester vor mehr als 55 Jahren zur Hochzeit geschenkt. Noch heute hütet Blockhaus das Präsent ihrer Stiefbruders wie einen Schatz.

„Es ist eine Schweizer Uhr“, erklärt sie. Denn Höllerhagen wusste, was die Stunde geschlagen hatte: Den Zweiten Weltkrieg verfolgte er vom Schweizerischen Exil aus. „Er liebte die Berge. Deshalb ist er auch in einem Grab mit Blick auf das Jungfraumassiv beigesetzt worden“, erzählt die 80-Jährige, die mit dem innig geliebten Bruder in Briefkontakt stand — wo auch immer er gerade Konzerte gab. „Das war ja damals eine ganz andere Zeit als heute. Handys und E-Mails gab es noch nicht. Man musste sich zum Telefonieren regelrecht verabreden.“

Dass sie ihn nicht mehr kurz vor seinem Tod sprechen konnte, beschäftigt sie bis heute. „Natürlich frage ich mich, ob ich ihn davon hätte abbringen können, sich selbst zu töten. Vielleicht hätte ich das sogar geschafft“, sagt sie. „Andererseits war er mit Leib und Seele Musiker — schon als Kind. Die unheilbare Oberlippen-Lähmung hätte er sicherlich niemals überwunden. Vor seinem Tod konnte er drei Wochen lang nicht spielen. Er war depressiv.“

Blockhaus kämpft mit den Tränen, aber letztendlich kehrt es doch wieder zurück — das Lächeln, mit dem sie weitere Schätze aus einer Kiste zaubert. Darunter sind Fotos, die sie zusammen mit „Ernie“ auf der Funkausstellung in Düsseldorf (1955) zeigen.

Spannend sei es gewesen, prominente Weggefährten des großen Bruders zu treffen. Der sorgte schließlich auch für den guten Ton, wenn Caterina Valente, Nadja Tiller und Walter Giller im Rampenlicht standen. „Vico Torriani war am interessantesten“, sagt sie und schmunzelt. Warum? „Als er vor mir stand, habe ich gesehen, dass er schon damals ein Toupet trug.“

Was viele ebenfalls nicht wissen: Ihr Stiefbruder war nicht nur ein begnadeter Jazzer, sondern auch eine nimmermüde Sportskanone. „Er spielte in Sonnborn Fußball. Weil er oft verletzt war, hat ihm mein Vater mehrfach die Stutzen zerschnitten.“ Erfolglos — der Sohn spielte weiter, Fußball genauso wie Saxophon.

Und was sagen Freunde und Bekannte heute, wenn sie erfahren, wen Blockhaus — außer ihrem Mann Rolf — fest im Herzen trägt? „Ich habe es nie an die große Glocke gehängt. Oft heißt es deshalb: Wir wussten ja gar nicht, dass du einen so berühmten Bruder hast.“ Blockhaus erzählt es ganz so, wie es ihre angenehme Art ist — mit Würde und Bescheidenheit, aber auch mit viel Stolz und dem dazugehörigen Lächeln.

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