Friedrich Brass: Ein Chronist des Grauens

Schauspieler Jörg Reimers las aus dem Zeitzeugenbericht eines Kemna-Häftlings.

Wuppertal. „Der vom Pult trat vor, nahm meinen Kopf zwischen seine Beine, steckte die Finger seiner beiden Hände ineinander und drückte mir dann mit den Handrücken die Kehle zu, sodass ich weder schreien noch atmen konnte. Ein Zweiter nahm meine Beine und hielt dieselben fest. Von der Seite her hagelten die Schläge auf meinen südlichen Rücken.“

Authentisch hallen die Worte durch den Raum. Mit seiner Stimme lässt Schauspieler Jörg Reimers die Schrecken des KZ Kemna wieder auferstehen und holt Fritz Brass’ Erinnerungen in die Gegenwart des heutigen Wuppertals. In der Veranstaltungsreihe „Es lebe die Freiheit — 80 Jahre Konzentrationslager in Kemna“ hatte die Begegnungsstätte Alte Synagoge kürzlich zu einer Lesung aus dem Bericht Fritz Brass’ über seine Zeit in Kemna — 88 Tage — eingeladen.

Es ist ein Bericht, der großen historischen Wert besitzt, denn im Gegensatz zu anderen ehemaligen Häftlingen schrieb Brass seine Erinnerungen bereits wenige Monate nach seiner Entlassung nieder. „Die Quelle ist ein Geschenk für Historiker, weil sie wirklich ungefiltert ist. Weder die Kemnaprozesse noch Zeitungsberichte haben Brass’ Erinnerungen beeinflusst. Alle Namen sind noch da“, so der Historiker David Magnus Mintert. Fritz Brass kam im Oktober 1933 als politischer Häftling in das KZ Kemna, nachdem er beim Aufhängen eines politisch motivierten Gedichts, das als Beleidigung Hitlers angesehen wurde, erwischt worden war. Besonders die ersten Tage und Wochen im Lager waren gezeichnet von Gewalt und Willkür.

Bei den „Empfangsfeierlichkeiten“, wie er die Aufnahmeprozedur in das Lager selber bezeichnet, wurde er, wie in der oben zitierten Stelle festgehalten, gefoltert und schwer verletzt. Die Wochen, die folgten, sind geprägt von der Willkür der SA-Männer, der im Lager sich einnistenden Langeweile und gelegentlichen Außenarbeiten, wie der Errichtung eines Neubaus, der heute noch genutzt wird.

Aber auch Kameradschaft und Zusammenhalt bilden sich unter den Häftlingen. Die meisten waren aufgrund ihrer politischen Gesinnung oder der Verbreitung von gehörten Gerüchten in Haft. Mit leicht spöttischem Unterton, den Reimers in seiner Lesung geschickt hervorzuheben weiß, erzählt Brass von dem Schicksal Mitgefangener, dem Alltag und dem Leben, bleibt dabei aber seinem Wesen entsprechend bescheiden: Nur 64 Seiten eines blauen Schulheftes zählt der bedeutende Bericht.

Mit der späteren Veröffentlichung wurde auch der innige Wunsch seiner Schwester Klara erfüllt. „Tante Klara hat zu Lebzeiten immer wieder erfolglose Versuche unternommen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen“, berichtet Dieter Engels, Sohn eines verstorbenen Freundes der Geschwister Brass, Otto Engels. Er hat der Begegnungsstätte den Bericht vermacht.

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