Inklusion: Kritik an Kinderbetreuung

Gesetzliche Neuregelung ist in der Diskussion — sie kann auch Nachteile für Kitas bedeuten.

Inklusion: Kritik an Kinderbetreuung
Foto: Andreas Fischer

Wuppertal. Ab Sommer 2015 wird es in Wuppertal keine integrativen Kindertagesstätten mehr geben. Die 17 Einrichtungen, die derzeit behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsam betreuen und ein spezielles Therapieangebot vorhalten, erhalten 2015 keine speziellen Zuschüsse mehr.

Der Grund: Auch Kinder mit Behinderung haben dann einen Rechtsanspruch auf einen Platz in einem Regelkindergarten. Was auf der einen Seite ein großer Gewinn im Rahmen von Inklusion ist, bedeutet negative Auswirkungen auf der anderen — und zwar für die Kinder, denen eigentlich damit geholfen werden soll.

Mehr Kosten, mehr Zeitaufwand, weniger individuelle Therapie: Die Liste der Nachteile der gesetzlichen Neuregelung ist nach Meinung von Heike Neumann, Einrichtungsleiterin im Troxler-Kindergarten an der Hatzfelder Straße, lang: „Zurzeit arbeiten in den integrativen Kitas festangestellte Logopäden, Motopäden und Physiotherapeuten. Ab Sommer 2015 streicht der Landschaftsverband als Kostenträger die Zuschüsse. Also müssen wir die Kollegen entlassen.“

Sprach- und Bewegungsförderung für Kinder mit Handicap kann dann nicht mehr in den regulären Tagesablauf integriert werden. Stattdessen müssen externe Therapeuten in die Kitas kommen oder die Eltern bringen ihre Kinder selbst zur Therapie. Zudem müssen regelmäßig Verordnungen durch die behandelnden Ärzte ausgestellt werden, damit die Krankenkasse die Kosten übernimmt. „Wenn man mit dem Kind nach der Kita zur Therapie fährt, ist man vor 17 Uhr nicht da“, ärgert sich Maresa Schleicher, Mitglied im Elternrat des Troxler-Kindergartens. „Das ist für die Kinder sehr anstrengend. Und wir reden nicht nur von Kindern mit kleinen Behinderungen.“Sie befürchtet, dass es einigen Eltern gar nicht mehr möglich sein wird, die Kinder regelmäßig bei einem Therapeuten vorzustellen. Doch nicht nur für die integrativen Kitas, die ihren Sonderstatus verlieren, haben Probleme.

Schwierig wird es auch für die Regelkindergärten, die plötzlich ein schwerstbehindertes Kind versorgen sollen. „Wie soll das mit der Pflege dort klappen?“, fragt sich Maresa Schleicher. „Wer kümmert sich um ein Kind mit Magensonde, das nicht nur langsam gefüttert, sondern anschließend auch gewaschen und umgezogen werden muss?“

Wie zwei Erzieherinnen das bei einer Gruppenstärke von 20 bis 25 Kinder schaffen sollen, wundert auch Heike Neumann, die weitere Hürden sieht: „Wir haben spezielle Möbel, die auf die Besonderheiten der Kinder abgestimmt sind. Ein Mädchen, das sehr kurze Arme hat und daher mit den Füßen isst, hat beispielsweise einen hohen Stuhl bekommen.“ Spezielle Buggys für gehbehinderte Kinder sind weitere Instrumente, die im Troxler-Kindergarten der Inklusion dienen. Ein barrierefreies Außengeländes ist hier eine Selbstverständlichkeit.

Trotz aller Vorteile, die der integrative Kindergarten auch 2015 noch bietet, melden schon jetzt immer weniger Eltern ihre behinderten Kinder dort an. Eine integrative Gruppe im Troxler-Kindergarten musste bereits in eine Regelgruppe umgewandelt werden, da sie von der Schließung bedroht war.

„Dafür kann sich der heilpädagogische Kindergarten an der Melanchthonstraße, wo nur behinderte Kinder betreut werden, vor Anmeldungen kaum retten“, weiß Heike Neumann. Den Grund dafür sieht sie darin, dass dort das therapeutische Angebot erhalten bleibt. Ob das neue Inklusionsgesetz den behinderten Kindern also tatsächlich hilft, scheint fraglich.

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