Die „Bluthochzeit“ in Barmen: Lebensrecht und Sangeslust

Premiere in der Oper: Dalia Schaechter spielt ab Sonntag eine zentrale Rolle.

Wuppertal. Frau Schaechter, am Sonntag feiern Sie Premiere im Opernhaus. Was hat das Publikum bei der „Bluthochzeit“ zu erwarten?

Dalia Schaechter: Es ist ein pechschwarzes Stück. Die Katastrophe fängt schon im Namen der Oper an und keiner der Beteiligten ruht, bis sie tatsächlich eingetreten ist. Das Erstaunliche dabei ist, wie komisch die Nuancen des Unglücks sein können. Wie viel Menschlichkeit zwischen schwarz und schwärzer sich verbirgt — wie viel Lust und ungelebte Lust.

Sie spielen die Mutter des Bräutigams. Wie würden Sie die Figur charakterisieren?

Schaechter: Bei meiner Rolle geht es um eine Frau, die Ehemann und Sohn durch eine Blut-Fehde verloren hat. Sie lebt mit ihrem jüngsten Sohn, ist von Trauer und Angst völlig besetzt. Eigentlich ist sie in ihrer Angst so gefangen, dass sie nur darauf wartet, dass dem Jungen auch etwas passiert. Sie hat sich hinter ihrer Trauer und Wut verschanzt, definiert sich nur noch über ihre Schicksalsschläge und ist nicht mehr fähig, ihre eigene Persönlichkeit unabhängig von ihrem Schicksal zu erleben. Interessant ist, was mit ihr passiert, je näher die Katastrophe kommt: die Begegnung mit der Braut, dem Sinnbild ihrer Ängste, und mit dem Vater der Braut, der die ungelebten Möglichkeiten des Lebens (Liebe, Freude, Erotik) symbolisiert. Und — was mit ihr passiert, wenn sie ihren Jüngsten dann wirklich verliert. Trauer? Erlösung? Sinnlosigkeit? Befreiung? Alle Möglichkeiten sind drin — in diesem spannenden, hochaktuellen Stück.

Inwiefern ist das Stück aktuell?

Schaechter: Wir sind umgeben von Menschen, die Schicksalsschläge erlitten haben. Sie haben ihr Teuerstes verloren und trotzdem das Recht auf Freude und Glück — ein Recht auf Leben. Die Mutter in der „Bluthochzeit“ verweigert sich diesem Recht, wobei nicht klar ist, ob das ihrer freien Entscheidung oder der Erwartung der Gesellschaft entspricht. Heute ziehen sich Witwen nicht mehr schwarz an. Aber eine Frau, die ihren Sohn bei einem Unfall verlor, sagte mir, sie könne sich im Kreis ihrer Bekannten gar nicht mehr „normal“ verhalten. Sie könne sich nicht einfach über einen Kaffee in der Stadt oder über ein neues Kleid freuen oder laut über einen Witz lachen. Man würde ein solches Verhalten bei ihr nicht akzeptieren. Mich interessiert es, bei meiner Rolle zu zeigen, wie gern die Mutter gelebt hätte. Und vielleicht, wenn sie es dürfte, müsste die Katastrophe nicht eintreten.

Was reizt Sie an Ihrer Rolle?

Schaechter: Für mich persönlich ist diese Rolle, stimmlich wie darstellerisch, eine große Herausforderung. Durch die Mischform Schauspiel-Oper lerne ich sehr viel. Es wird relativ viel gesprochen, aber wenn gesungen wird, ist es sehr nah am Verismo (Anmerkung der Redaktion: der Verismo ist eine Stilrichtung der italienischen Oper zwischen etwa 1890 und 1920) — großbögig und sehr wahrhaftig. Ich transportiere so viel Schmerz durch die Figur, dass ich selbst eine Art von Befreiung und Leichtigkeit erlebe. Wir lachen viel bei den Proben, aber wir weinen auch. Und manchmal stehen wir der Wucht der Szenen wortlos gegenüber.

Haben Sie eine Erklärung dafür, dass Wolfgang Fortners Oper seit mehr als 25 Jahren nicht mehr inszeniert worden ist?

Schaechter. Ich sträube mich gegen diese Frage, denn ich befürchte, dass sie die Annahme verbirgt, das Stück wäre nicht gut oder nicht heutig genug. Auch in der Welt von Musik und Theater gibt es Moden. Es gab Jahre, da wurde ein bestimmtes Stück oder ein Komponist in sämtlichen Theatern gespielt. Dann trat eine Sättigung ein und es verschwand von den Spielplänen — nicht, weil es nicht gut war, sondern weil es mit einer bestimmten Epoche in Zusammenhang gebracht wurde und nicht als „hip“ galt. Es wäre schade, die „Bluthochzeit“ wegen dieser Kapriolen der Mode zu verpassen.

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