Forschung als Familiensache: Ein Enkel und das NS-Regime

Wie steht die ältere Generation zur Vergangenheit? Autor Moritz Pfeiffer fragte es exemplarisch — und blickt nun nach vorne.

Herr Pfeiffer, Sie haben exemplarisch die Lebensgeschichte Ihrer Großeltern erforscht. Zu welchem Ergebnis sind Sie gelangt?

Moritz Pfeiffer: Dass sie einen komplexen psychologischen Prozess von Schuld, Scham und Verdrängung durchgemacht haben. Wie in vielen deutschen Familien haben sie mit den Enkeln mehr über die NS-Zeit geredet als mit den eigenen Kindern. Dabei waren sie aber bemüht, ihren persönlichen Anteil an den Geschehnissen zu bagatellisieren. Und doch haben sie bis an ihr Lebensende mit den gemachten Erfahrungen gerungen.

Was war zuerst da: die Idee, ein Buch zu veröffentlichen, oder der Wunsch, Ihre Großeltern systematisch zu befragen?

Pfeiffer: Am Anfang standen eigentlich nur Fragen, die sich im Prinzip in allen Familien stellen: Was haben die eigenen Eltern oder Großeltern im Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg erlebt? Wie standen sie zum NS-Regime? Über den konkreten Fall meiner Großeltern habe ich dann meine Magisterarbeit geschrieben. Dass nun ein Verlag die allgemeingültige Relevanz meiner Herangehensweise erkannt hat, ist natürlich erfreulich, war aber nicht Ausgangspunkt oder Antrieb des Projektes.

Sie nennen Ihr Buch „wegweisend“. Was unterscheidet Ihre Publikation von anderen Büchern, die sich mit den Themen Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust auseinandersetzen?

Pfeiffer: Es ist ein erforschtes Phänomen, dass die Deutschen eigentlich gut über den verbrecherischen Charakter des Nationalsozialismus informiert sind, die eigenen Familienangehörigen aber aus diesem Kontext weitestgehend ausklammern. Harald Welzer (Anmerkung der Redaktion: Welzer ist Sozialpsychologe am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen und Autor der Studie „Opa war kein Nazi“) hat das kurz und bündig auf die Formel gebracht: „Opa war kein Nazi.“ Dass nun ein Enkel die Erzählungen seiner Großeltern systematisch untersucht, zeitgenössische Quellen wie Briefe und Dokumente auswertet und das Ganze vor dem Hintergrund des wissenschaftlichen Forschungsstandes analysiert, hat es bislang — meines Wissens — noch nicht gegeben.

Wie sind Sie vorgegangen?

Pfeiffer: Kernidee meiner Untersuchung war es, meine Großeltern weder pauschal zu verurteilen noch im Voraus „reinzuwaschen“. Diese sachliche Herangehensweise halte ich für existenziell: Wir müssen uns eingestehen, dass Nationalsozialismus und Holocaust Familiengeschichte sind. Die eigenen Vorfahren kennt und liebt man ja im Idealfall als vertrauensvolle und wichtige Menschen. Wer nun versteht, wie sich diese verhalten haben und ob sie mitgewirkt, profitiert, weggesehen oder vielleicht ja auch widerstanden haben, der hat viel gelernt und ist sensibilisiert für sein Leben in unserem heutigen freiheitlichen Rechtsstaat.

Welche Aussage Ihrer Großeltern hat Sie am meisten überrascht, verblüfft oder berührt?

Pfeiffer: Mit Sicherheit ihre Unfähigkeit, Mitgefühl und Empathie für die Opfer des Nationalsozialismus artikulieren zu können. Die zurückhaltendste Schätzung geht von 20 bis 25 Millionen Deutschen aus, die Mitwisser des Holocaust waren. Auch meine Großeltern räumten ein, dass sie angesichts vielfältiger Gerüchte „keine weiteren Informationen gesucht“ und stattdessen das Ganze „weit weggeschoben“ haben. Neben dieser bereits zeitgenössischen Schuldabwehr durch eingeredete Ahnungslosigkeit konnten sie auch Jahrzehnte später keine Worte des Mitleids finden. Offensichtlich hätte die Beschäftigung mit den Opfern unweigerlich auch die schmerzhafte Frage nach eigener Verantwortung mit sich gebracht.

Sie sind studierter Historiker. Wie soll Ihre eigene Lebensgeschichte weitergehen?

Pfeiffer: Zurzeit arbeite ich an einem neuen Forschungsprojekt über den „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler. Daneben würde ich gerne dazu beitragen, die oftmals trocken anmutenden Erkenntnisse der Geschichtsschreibung mit modernen Formaten bekannt zu machen.

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