Fundfotos und Türen zu Erlebniswelten

Unter dem Titel „Privat“ stellen vier Künstler in der Galerie Grölle aus.

Fundfotos und Türen zu Erlebniswelten
Foto: Anna Schwartz

Wuppertal. Privat? Da fallen einem heutzutage gleich Schlagworte ein wie Datenhorten, Dauerabhören und Selbstausstellen im Internet.

Großes Thema, große Debatte, doch damit läuft man ins Leere in der nicht sehr großen, aber ausgesprochen feinen Foto-Ausstellung „Privat“, die die junge Künstlerin Ann Christine Freuwörth in der Galerie Grölle kuratiert hat.

In eigenen Arbeiten und Werken von drei Kollegen umkreist sie stattdessen das Thema, wie individuell das Private überhaupt ist und sein kann.

Chris Dreier beispielsweise, die gebürtige Wuppertalerin, die heute in Berlin lebt, nimmt zerrissene Passbilder als Grundlage für ihre Reihe „Fundfotos“. Die ausgefransten Schnipsel hat sie als Fotodruck großzügig auf Holz platziert. Ausgerechnet das, was einen Menschen eindeutig identifizierbar machen soll, eröffnet so spontan Raum für Projektionen und Spekulationen: Wie sieht das ganze Gesicht aus? Was hat an dem Foto so missfallen, dass es weggeworfen wurde. Sind das überhaupt noch private Bilder?

Freuwörths Studienkollegin Miriam Neitzel zeigt Fotos mit Nachtmotiven — helle Schemen, die ein unscharfes Gesicht sein könnten, körnig unscharfe Blütenstände, eine dunkle Silhouette vor einem hellen Fenster, Lichtstreifen auf einem nackten Rücken, das Meer bei Nacht — kaum merklich verändert es sich in dem Video. Alle evozieren ruhige, intime Augenblicke; Momente, in denen man in aller Zeitlosigkeit bei sich sein kann.

Von Andreas Wünschirs fallen insbesondere die großformatigen Werke Tür 1 und Tür 2 ins Auge. Wie vor langer Zeit gemalt wirken die analogen C-Prints: Durch einen Türrahmen blickt man auf eine zweite Tür, die einen Spalt offen steht — was sofort zum Spiel mit der Vorstellung reizt. Im zweiten Motiv ist sie weiter geöffnet. Doch den neugierigen Blick ins Innere versperrt eine Ziegelmauer. Privatheit braucht und hat Grenzen.

Für ihre eigenen Arbeiten hat Ann Christine Freuwörth Menschen in der Kleidung eines Elternteils fotografiert — alle haben sich erstaunlicherweise für das Andersgeschlechtliche entschieden. Die Künstlerin Chris Dreier hat sich Kappe, Schal und Jackett ihres Vaters angezogen, sitzt kerzengerade und breitbeinig mit Stock auf einem Stuhl. Sie habe wissen wollen, „wie sich Leute in der Kleidung ihrer Eltern ändern, welche Rollen sie automatisch übernehmen und wo das Verhältnis prickelig wird“. Das Ergebnis ist verblüffend. Ein junger Mann mit Vollbart schaut in der dunkelroten Kostümjacke mit gefalteten Händen schüchtern schräg zu Boden. Freuwörths Vater trägt Nerzmantel und langen Faltenrock seiner Mutter — eine imposante Erscheinung, die wie auf einem alten Gemälde die Gelassenheit des Herrschers ausstrahlt. Oder der Herrscherin, die ihm vorangegangen ist?

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