Gedichte sind stärker als der Orkan

Olaf Reitz und Thomas Beimel locken Besucher in ungewohnte Klang- und Wortwelten.

Gedichte sind stärker als der Orkan
Foto: Stefan Fries

Wuppertal. Das Wetter war erst mal kein Gedicht. Am Samstagvormittag fliegt Olaf Reitz und Thomas Beimel am Werth ihr Pavillon im Orkan um die Ohren. Doch die Barmer sind hart im Nehmen - trotz Regen und Wind lassen sich gut zehn Leute am Poetomobile vom Zauber der Gedichte fesseln und zu eigenen Dreizeilern anregen: „Ich bin kein Hamster, und doch spüre ich, wie ich renne.“

Am Nachmittag werden die Künstler mit der ambulanten Lyrik-Werkstatt wegen der Regengüsse auf die nächste harte Probe gestellt. Aber die wenigen Besucher lassen sich freudig in neue Wortwelten und vor die Kamera locken mit einem Dreizeiler des Dichters Eugène Guillevic: „Ja, ich provoziere“, sagte die rote Rose. „Was soll ich auch sonst tun?“

Über eine Computertastatur spielen sie mit dem Klangalphabet, für das Thomas Beimel ein Jahr „interessante Klänge gesammelt“ hat: „Selbst die unangenehmsten Worte klingen damit wunderbar.“ Besonders bestaunt wird der Buchstabe G — eine Mischung aus Zischen und Ploppen, die eine Drittklässlerin erfunden hat.

„Die Worte müssen es sich im Mund bequem machen“, sagt Olaf Reitz. Er rezitiert Gedichte, die anderen sprechen nach — was seltsam ist, weil man das Ende nicht kennt. Eine schöne Dynamik entwickelt dieser „menschliche Lautsprecher“ trotzdem.

Es ist ein anregendes Spiel, wie sich Zeilen von Heinrich Heine, Ernst Jandl, Ulla Hahn und Abd Al-Wahhab Al-Bagati über Spieluhr, Buchstaben-Stempel und Wäscheklammer verwandeln lassen. Man lauscht dem Sinn im Geist hinterher.

„Der Zauber der gesprochenen Sprache wirkt wieder“, ist die Erfahrung von Thomas Beimel mit Grundschülern. Für ihn ist es auch ein Test, wie sich Hochkultur — mit der er sich als Komponist ansonsten beschäftigt —, möglichst ohne Hürde vermitteln lässt.

Als am Sonntag das Wetter endlich mitspielt, findet die Lyrik auch ihre angemessen zahlreichen Liebhaber. Im Deweerth’schen Garten versammeln sich am Vormittag mehr als 50 Menschen zwischen 3 und 70 Jahren. Sie sind nicht etwa zufällig da, sondern eigens für die Gedichte gekommen — einer sogar aus Köln.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort