Herta Müller und das krönende Finale

Die Nobelpreisträgerin erwies sich in der Immanuelskirche als kraftvolle Kämpferin für eine eindringliche Sprache.

Wuppertal. Der Abschluss der ersten Wuppertaler Literatur-Biennale war wirklich ein krönender: In der ausverkauften Immanuelskirche las am Samstagabend Herta Müller, Literaturnobelpreisträgerin von 2009, aus ihren Werken und erzählte aus ihrem Leben.

Zierlich und klein von Gestalt ist Herta Müller, aber welche Größe und Kraft wohnt in ihren Worten. Mit ihrem literarischen Wegbegleiter und frühem Freund Ernest Wichner, der heute das Literaturhaus Berlin leitet, nimmt Müller auf dem Podium Platz.

Die Erinnerungen an die gemeinsam erlebte schwere Zeit unter der Ceausescu-Diktatur in Rumänien, wo Müller in dem kleinen, deutschsprachigen Nitzkydorf im Banat aufwächst, sprudeln im Gespräch genauso lebendig wie in ihren Meisterwerken. Auch die wilden 68er hat sie erlebt, stand der Aktionsgruppe Banat nahe: „Es wurde diskutiert, dass die Fetzen flogen. Ich war ein Groupie.“

Dass sie damals politisiert wurde, weiß sie. Denn in der Fabrik, in der sie später als Übersetzerin arbeitete, sei nur Angst produziert worden, sonst nichts. Kein Wunder, dass sie in dieser Zeit zu schreiben begann.

Aus ihrem ersten Buch „Niederungen“ liest Müller vom Leben im Dorf, das ihr in seiner Ordnung vorgekommen sei wie eine Kiste. „Meine Familie“ ist ein kurzer, kauziger Text, der ironisch die verworrenen Familienverhältnisse im Dorf, wo jeder jeden kennt, aufs Korn nimmt.

Als Müller 1987 aus Rumänien nach Berlin auswandert, weiß sie noch nichts von den Verleumdungskampagnen gegen sie durch den Spitzeldienst Securitate, für den zu arbeiten sie sich weigerte.

Erst in den vergangenen Jahren war ihr die Akteneinsicht möglich. Fassungslos entdeckte sie, dass auch die Landsmannschaft unterwandert und beste Freunde Spitzel waren.

Davon handelt ein Text aus „Herztier“: Als die Freundin Tereza sie in Berlin besucht, muss die Ich-Erzählerin feststellen, dass Tereza einen Spitzelauftrag hatte. In eindringlicher Sprache beschreibt Müller, wie ohnmächtig der Vertrauensbruch macht, wie herb die enttäuschte Liebe ist.

In „Atemschaukel“ von 2009 schließlich beschreibt Müller das Leben im ukrainischen Arbeitslager nach den Erlebnissen des Lyrikers Oskar Pastior (1927-2006).

Im Kapitel „Taschentuch und Mäuse“ erfährt der Protagonist im Lager die Schönheit des Gebrauchsgegenstandes Taschentuch aus zartem Batist, das er geschenkt bekommt und wie eine Reliquie bewahrt. Weil Oskar Pastior auch dem Geheimdienst angehörte, recherchierte Müller gründlich: „Ich habe mir vorgenommen, Oskar zu verteidigen.“ Denn: „Er hatte keine kriminelle Energie.“ Seine Berichte an den Geheimdienst seien zunehmend harmlos gewesen und hätten diesem nichts genutzt.

Aus ihrem noch unveröffentlichten, auf die Leinwand projizierten Buch „Vater telefoniert mit den Fliegen“, einer lyrischen Collage aus Wortschnipseln und Bildern, liest Müller zum Schluss: Zunehmend findet sie zur leichten, duftigen Sprache — verbunden mit optischem Vergnügen.

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