Interview: Michael Zeller erhält den Gryphius-Preis

Ein wahrhaft ausgezeichneter Autor: Michael Zeller erhält den Gryphius-Preis. Der 67-Jährige lebt seit 1998 in Wuppertal.

Herr Zeller, Sie erhalten den Andreas-Gryphius-Preis und stehen damit in einer Reihe mit Siegfried Lenz, Otfried Preußler und Peter Härtling. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Michael Zeller: Nicht zu vergessen eine Handvoll polnischer und tschechischer Autoren. Denn es ist ein europäisch ausgerichteter deutscher Preis. Das freut und ehrt mich natürlich besonders.

Wie haben Sie von dem Preis erfahren?

Zeller: Ich war gerade auf dem Weg zu meinem Waldlauf oben auf der Kaiserhöhe. Da steckte im Postkasten ein Brief aus Berlin, ein paar Zeilen nur. Das Laufen fiel mir an dem Tag leichter als sonst.

Es ist nicht der erste Preis, den Sie erhalten. Was unterscheidet ihn von anderen?

Zeller: Zunächst ist da eine Irritation, fast Bestürzung: Meinen die wirklich mich? Dann diese Mischung aus Freude, Stolz und Beschämung: Hast du es denn überhaupt verdient? Es dauert seine Zeit, Tage bestimmt, bis man sich es oft genug selbst eingeredet hat: Ganz falsch ist die Entscheidung doch wohl nicht.

Was bedeutet Ihnen Wuppertal?

Zeller: Die Stadt ist seit 1998 mein Lebensmittelpunkt. Das ist, in den literarischen Dimensionen, in denen ich denke, eine sehr kurze Frist. Deshalb war für mich die Verleihung des hiesigen Von der Heydt-Kulturpreises 2008 schon etwas Besonderes. Ich fühlte mich angenommen und gewürdigt in meiner Arbeit, die ja eine sehr stille ist und viel Zeit braucht. Ein Leser benötigt für einen meiner Romane doch sicherlich zwei oder drei Monate intensiver Beschäftigung. Wem kann man das heutzutage noch zumuten? Und dann treffe ich hier in der Stadt jemanden, der mir zu verstehen gibt, sie oder er habe das eine oder andere Buch von mir gelesen — mit Gewinn. Das rührt mich jedesmal. Das ist in seiner Art auch eine öffentliche Ehrung.

Sie engagieren sich unter anderem in Schulprojekten. Wie wichtig ist es Ihnen, junge Menschen zur Literatur zu führen — und wie ist die Resonanz der Schüler?

Zeller: Wuppertal nimmt mit den „Schulhausromanen“ ja eine führende Stellung im deutschsprachigen Raum ein. Die Idee ist: Schriftsteller in Schulen zu schicken, um mit den Schülern über Monate hinweg gemeinsam eine Erzählung zu entwickeln. Auswärtige Kollegen beneiden uns Wuppertaler Autoren für diese Möglichkeit. Die Arbeit ist nicht leicht und erfordert eine Menge Erfahrung als Erzähler. Aber sie ist auch, gerade wenn man Jahrzehntelang Tag für Tag am Schreibtisch verbracht hat, ungeheuer erfrischend. Und die Ergebnisse sind einfach umwerfend. Wer zu den hübsch gestalteten und preiswerten Heften greift, bekommt etwas vor Augen, das über seine bisherigen Begriffe von Literatur hinausreicht. Auch bei meinem derzeitigen Projekt an der Realschule Am Hohenstein sind die Schüler wieder mit Feuer und Flamme bei der Sache, obwohl (oder weil?) es dafür keine Noten gibt.

Würden Sie jungen Schreibtalenten empfehlen, Schriftsteller zu werden?

Zeller: Ehrlich gesagt: nein. Ich würde ihnen allerdings auch nicht empfehlen (was mich als Jüngling immer auf die Palme gebracht hat), erst einmal etwas „Anständiges“ zu lernen. Wenn, dann ermutige ich sie oder ihn, auf Reisen zu gehen, möglichst lange und möglichst weit weg aus unserem Kulturkreis. Aber ein Mensch, der wirklich Schriftsteller werden will, braucht keine Empfehlung: Der macht es.

An welchem Buch arbeiten Sie gerade?

Zeller: Kein Buch — es sind Bücher. Es ist für mich eine neue Erfahrung, an vier, fünf Manuskripten gleichzeitig zu arbeiten, die einmal Bücher werden sollen. Natürlich ist auch ein Roman darunter, mein neunter — ich glaub’s fast selbst nicht, was da im Lauf von Jahrzehnten gewachsen ist. Darin lasse ich erfundene und erlebte Geschichten den Doppelpass spielen. Das ergibt eine dritte Art von Wirklichkeit, die mich immer wieder aufs Neue überrascht.

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