Kuschel-Alarm für Anti-Helden

Das Stück „Wohnen. Unter Glas“ lebt vor allem von den Darstellern, die verzweifelte Mittdreißiger spielen.

Wuppertal. Wer weiß, was Weiß bedeuten kann, sieht das Finale mit gemischten Gefühlen. Denn Babsi (Hanna Werth), Jeani (Julia Wolff) und Max (Heisam Abbas) haben sich angepasst — zumindest farblich. Die drei Freunde, die sich zwischenzeitlich aus den Augen verloren hatten, geben sich plötzlich (rein optisch) wieder als Einheit zu erkennen: Ganz zum Schluss tritt das ungleiche Trio in engelsgleicher Harmonie auf — ganz in Weiß.

Ein glasklares Zeichen dafür, dass das Leben am Ende doch steril, monoton und langweilig ist? Oder steht der pure Weiß-Wahn — im Gegenteil — für einen unbefleckten Neuanfang? Für Frische, Unschuld und Natürlichkeit? Das kann der geneigte Zuschauer — wie so vieles im Stück — auslegen, wie er möchte. Schließlich konkurrieren auch im echten Leben Optimisten mit Pessimisten: Sind Niederlagen nicht auch Chancen, sich neu zu erfinden? Haben alte Freunde nicht eine zweite Chance verdient? Und öffnet sich tatsächlich eine neue Tür, sobald sich eine vertraute schließt?

Auf Türen zumindest verzichtet Frank de Buhr: Der Regisseur, der im Kleinen Schauspielhaus auch gleich das Bühnenbild entworfen hat, macht aus Ewald Palmetshofers moderner Studie des Stillstands („Wohnen. Unter Glas“) einen heiter-nachdenklichen Abend, der nach 80 Minuten allerdings etliche Fragen offen lässt — was an der Vorlage liegt.

Palmetshofer zeigt Menschen, die ein Problem mit sich und der Welt haben. Eine chronologische Handlung gibt es — streng genommen — nicht, dafür eine mitunter deftige Wortwahl und entsprechend eindeutige Gesten: Max und Jeani kneten sich gegenseitig Brust und Genitalbereich. Was ein intimer Ausdruck menschlicher Zuwendung sein soll, entpuppt sich als mechanischer Akt einsamer Hilflosigkeit.

Auf offener Bühne zeigt Frank de Buhr eine Welt, in der die Menschen gläsern sind, aufgeschlossen und unentwegt flexibel sein wollen, zugleich aber Mauern bauen und sich gefühlsmäßig abschotten. Zwei Frauen und ein Mann, die in der Blüte ihrer Jahre stehen, sich aber schon verwelkt fühlen, stehen für eine ganze Generation Rast- und letztendlich Zielloser. Die Smartphone-Jünger von heute hetzen Visionen hinterher, weil sie meinen, ambitionierten Zeitgenossen zwanghaft nacheifern zu müssen: „Die Sonne — das sind die anderen.“

Dabei lässt das Team der Wuppertaler Bühnen, das bei der Premiere am Samstagabend viel Applaus erhielt, keine pure Missgunst sprechen, sondern leise Enttäuschung anklingen: Die drei Mittdreißiger, die selbst nicht in der Lage sind, wirkliche Nähe zuzulassen, bedauern, beneiden und beweinen Bekannte, die an den Wegkreuzungen des Lebens einfach abbiegen, sich umdrehen und — im besten Fall — kurz winken. Echte Freundschaften bleiben da schnell auf der Strecke.

So zeigt sich die ganze Tragik innerer Einsamkeit — zumal Babsi, Jeani und Max an alte Zeiten anknüpfen wollen und sich deshalb für ein Wochenende im Hotel verabreden. Die früheren Seelenverwandten, die als Wohngemeinschaft einst Ideologien und Betten teilten, waren „ein bisschen links“, sind aber inzwischen vom rechten Weg abgekommen — also immer noch auf der Suche nach der Liebe, dem Lebenssinn und nicht zuletzt nach sich selbst.

Max ist von Kopf bis Fuß eine graue Erscheinung, die sich weder zu der einen noch zu der anderen bekennt. Babsi trägt Orange-Rot: Sie möchte Max’ Herz aufrichtig entflammen. Jeani wiederum, ganz in Lila, ist die Kühlere und Zupackendere der Frauen, die beide einen Spagat schaffen wollen: Zwischen Kuschel-Alarm und Sex-Offensive wollen sie Max aus der Reserve locken.

So kommt es, wie es kommen muss: Während Svenja Göttlers Kostüme deutliche Akzente setzen, spürt der Zuschauer immer stärker, dass im Alltag der Anti-Helden echte Farbtupfer fehlen.

Die Botschaft ist so simpel wie tiefschürfend: Wer ewig auf den Zenit wartet, verpasst am Ende den eigentlichen Höhepunkt. Doch die Entwicklung, die die Figuren missen lassen, zeigt auch das Stück nicht. Am Anfang wirkt das tragikomische Treiben noch absurd-amüsant, doch spätestens im Mittelteil wird klar: Die Geschichte, die von einer Kunstsprache mit Gedankensprüngen, Rückblicken und bizarren Halbsätzen angetrieben wird, steuert auf keinen Höhepunkt zu.

Für die einzelnen Bausteine des Lebens — symbolisiert durch 15 weiße Sitzwürfel, die die drei Schauspieler pausenlos auf- und auseinander schieben — ist jeder selbst zuständig. Immerhin: Der Boden der Bühne, die Basis des Ganzen, ist grün gehalten — wie die Farbe der Hoffnung. Ob das am Ende ein Zeichen sein soll? Stück: n n n n n Bühne: n n n n n Regie: n n n n n Schauspieler: n n n n n

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