Lasker-Schüler-Auftritt: Erinnerungen an einen Eklat

Vor 100 Jahren las Else Lasker-Schüler in der Stadthalle.

Wuppertal. Der Name großer Dichter weckt die Vorstellung, dass Massen zu ihren Lesungen kamen. Der Historiker Michael Okroy blickte am Montag prüfend über die kleine Zuhörerschar in der Begegnungsstätte Alte Synagoge und stellte Erstaunliches fest: „Nicht viel mehr Menschen dürften damals in der Stadthalle gewesen sein.“

Damals, das war der 22. Oktober 1912, als Else Lasker-Schüler auf Einladung der Literarischen Gesellschaft in der Elberfelder Stadthalle ihre einzige Lesung im Wuppertal hielt. Dass so manch ein Gast angesichts des erstaunlichen Auftritts empört und lautstark den Saal verließ, verstimmte die 36 Jahre alte Dichterin so sehr, dass sie sich später in einem Schreiben bitter beklagte. Den Brief hätte sie sich möglicherweise gespart, wäre der Eklat nicht in ihrer Heimatstadt geschehen.

In Gedenken an den 100. Jahrestag der Lesung trugen Okroy und der Schauspieler Andreas Ramstein Texte vor, die damals zu Gehör kamen. Heute vermögen solche Schriften keinen Sturm mehr auszulösen. Bekannt ist aber aus Presseberichten, dass das Auftreten der Dichterin selbst, die „Performance“, zum Skandal beigetragen hat. Ramstein und Okroy trugen auch den zeitgenössischen Pressespiegel vor. „Grelle Verzückungslaute durchschnitten hier und da diesen eintönigen Fluss ihrer Rede, und oft mündete er in einen schrillen Trompetenstoß, der ein Gedicht jäh und unerwartet abschloss. Das Publikum war starr vor Staunen, bis es sich der Wirklichkeit erinnerte und kopfschüttelnd, lachend und schwatzend dasaß oder — verschwand.“ So berichtete der General-Anzeiger am 24. Oktober 1912 und resümierte gar: „Eine Dramatikerin ist E. L. Sch. nicht, wie der erste Akt des Schauspiels ’Die Wupper’ zeigte.“

Nach dem Vortrag der 100 und mehr Jahre alten Originaltexte ergab sich an dem erbaulichen Abend in der Begegnungsstätte eine rege Diskussion über Parallelen bei jüngeren Kulturdarbietungen in Wuppertal. Dabei erinnerte man sich an die schroffen Reaktionen vieler Zuschauer auf frühe Darbietungen des Tanztheaters Pina Bausch. Aber, so mahnte Okroy: „Der Nimbus des Erfolgs macht es heute leichter, mit dem Werk umzugehen.“

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