Sinfonieorchester Mahlers Kampf mit dem Schicksal

Mit Gustav Mahlers 6. Symphonie haben Toshiyuki Kamioka und das Sinfonieorchester sich einer großen Aufgabe gestellt — und sie mit Bravour gemeistert.

Sinfonieorchester: Mahlers Kampf mit dem Schicksal
Foto: Andreas Fischer

Wuppertal. Für das vorletzte Konzert der Saison hat Toshiyuki Kamioka ein musikalisches Glanzstück gewählt. In der gut besuchten, aber nicht vollbesetzten Stadthalle auf dem Johannisberg intonierte das Wuppertaler Sinfonieorchester unter der Leitung von Kamioka Gustav Mahlers 6. Symphonie. Sie gilt als vielleicht persönlichstes Werk des österreichischen Komponisten (1860-1911).

Entsprechend einfühlsam wurde es von Kamioka interpretiert. Von ersten Ton an gelang es dem Sinfonieorchester, den emotionalen Widerstreit aufzunehmen, in dem sich der Komponist befunden zu haben scheint, als er die Symphonie schrieb. Dirigent und Musiker demonstrierten geradezu Lust auf die Musik Mahlers — und ließen ihr Publikum an dieser Freude teilhaben.

Im ersten Satz überwiegen noch zuversichtlich anmutende Klänge, obwohl das Hauptthema mindestens erahnen lässt, wohin sich das Werk entwickeln wird. Holzbläser beruhigen die Streicher, die ihrerseits in Traumsequenzen zu vergehen scheinen, um daraus mehrmals in einen Marschrhythmus zu verfallen. Mahler lässt seinen Zuhörer schon im ersten Satz auf äußerst intensive Weise nicht zur Ruhe kommen.

Daran ändert sich auch im zweiten Satz nichts. Der beginnt zwar leise, um das dramatische Ende des ersten aufzufangen, aber er gewinnt immer wieder an Dynamik. Dieses Wechselspiel wird im Orchester auch von einer beeindruckenden Harmonie von Streichern und Bläsern getragen. Dem gesamten Orchester gelingt es, den bedrohlichen Unterton der Komposition zu halten und spürbar zu verstärken.

Auch der dritte Satz ist geprägt von Widersprüchlichkeit. Kenner sagen, er gehöre mit zum Schönsten, das Mahler je geschrieben hat. Auf jeden Fall treibt der Komponist dort seinen permanenten Kampf mit dem Schicksal weiter voran.

Dem Wuppertaler Sinfonieorchester gelingt es unter dem gewohnt extrovertierten Dirigat Kamiokas immer, diese Zerrissenheit hörbar zu machen. Die bedrohlich wirkenden Sequenzen der Symphonie werden versiert von beruhigend berührenden abgelöst, Tempiwechsel gelingen dem Orchester mit scheinbarer Leichtigkeit. Das Werk selbst lässt nun keinen Zweifel mehr daran, dass Ausweglosigkeit bevorsteht.

Im vierten Satz scheint Kamioka das Orchester von der Kette zu lassen. Mehr als 30 furiose Minuten lang, pointiert mit den drei berühmten Hammer- (Schicksals-) Schlägen, zelebrieren die mehr als 100 Musiker den Anfang des dramatischen Endes. Nichts, selbst die entfernt vernehmbaren Alpenglocken nicht, lenken vom Unausweichlichen ab. Aufkeimende Hoffnungsschimmer werden vom Grollen dramatischer Klänge verdrängt. Bläser, Kontrabässe, Streicher vereinigen sich zu einem Finale, an dessen Ende nur Verzweiflung stehen kann.

Für den von Mahler atemberaubend beschriebenen Widerstreit der Gefühle sind Worte zu nüchtern. Er braucht Musik und Menschen, die sie spielen können. Toshiyiki Kamioka und das Wuppertaler Sinfonieorchester können das. Langanhaltender Beifall, Bravorufe und stehende Ovationen waren gestern in der Stadthalle der Beweis dafür. ll

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