Medea gibt ihr Laufsteg-Debüt

Deutsch-türkische Poduktion ist ein spannendes Sprachexperiment. Es fehlt jedoch der psychologische Tiefgang.

Wuppertal. Wer sprichwörtlich in einem Boot sitzt, kennt sich offensichtlich damit aus, Schiffe zu versenken: Die Griechen, die in ihren drolligen Uniformen aussehen, als wollten sie im Urwald fröhlich und naiv auf Forschungsreise gehen, schlagen kurz vor Kolchis ihre Zelte auf, machen es sich auf Klapp-Stühlen bequem und spielen munter Schiffeversenken.

Es hat etwas Diffus-Provozierendes, wenn die skurrile Safari-Gemeinschaft direkt an der Grenze Stellung bezieht, als plane sie einen Camping-Urlaub und keinen Feldzug. Auf der anderen Seite zeichnet sich ebenfalls Ambivalentes ab: In weiser Voraussicht beschließen die Kolcher, die ungewollten Gäste musikalisch einzulullen — der Bauchtanz wird zum politischen Kampfmittel.

So ist „Das goldene Vlies“ eine zwiespältige Angelegenheit: Die Neufassung, die am Samstagabend im Opernhaus gefeiert wurde, hat einen ernsten (Migrations-)Hintergrund, aber auch viele witzige Momente — zumindest im ersten Teil, in dem sich die Lager durchaus komödiantisch gegenüberstehen.

Wem kann man da noch vertrauen? Wer wird wen verraten? Und vor allem: Wer hat überhaupt das Recht, anderen das Gastrecht zu verweigern?

Manche Fragen drängten sich schon vor der Premiere auf. Werden die Zuschauer der ohnehin komplexen Handlung folgen können, wenn sie auch noch zweisprachig erzählt wird? Ist es eine gute Idee, Profis und Laien gemeinsam ins Rampenlicht zu stellen? Kann am Ende überhaupt eine homogene Inszenierung entstehen? Die Antwort ist ein dreifaches „Ja“.

Zwar setzt die Koproduktion mit der türkischen Truppe Elele Tiyatrosu („Theater Hand in Hand“) kein Ausrufezeichen, das man nie wieder vergessen dürfte, doch unter dem Strich überzeugt die Umsetzung genauso wie die Idee: Um durchzuspielen, was passieren kann, wenn fremde Kulturen aufeinanderprallen, wagt Jenke Nordalm ein Experiment.

Die Regisseurin lässt Deutsche und Türken, Profis und Amateure eine graue Halbkugel erklimmen, die keinen festen Halt gibt und auf der sich die Figuren nur oberflächlich begegnen. So gesehen bringt es Birgit Stoessel (Bühne und Kostüme) mit der Halbkuppel auf den Punkt: Wird Integration nicht mit ganzem Herzen gewollt, erfolgt sie nur halbherzig.

Eine runde Sache sind hingegen die sprachlichen Akzente, die Nordalm geschickt setzt: Während hauptsächlich deutsch und weniger türkisch gesprochen wird, liefern Übertitel die passende Übersetzung, so dass das Publikum gut folgen kann. Ein cleverer Schachzug ist auch, dass die türkischen Schauspieler oft in Chören sprechen. Das verleiht ihnen Stimmkraft und lenkt davon ab, dass die beiden Ensembles erwartungsgemäß sehr unterschiedliche Qualitäten haben.

Auch Kai Schubert setzt wichtige Akzente. Der Autor hat Grillparzers Vorlage mit Blick auf die aktuelle Migrations-Debatte neu arrangiert. Sein Text überzeugt durch verbale Spitzfindigkeiten und zeitgemäße Seitenhiebe, hat jedoch den Nachteil, dass sich der pädagogische Zeigefinger mitunter zu ambitioniert erhebt. Weil Nordalm und Schubert mehr Wert auf allgemeine Fragestellungen als auf den konkreten Medea-Konflikt legen, kann sich der sagenhafte Stoff um Medea (Maresa Lühle), die für Jason (Holger Kraft) alles aufgibt, um am Ende in der Fremde gegen eine neue Frau (Juliane Pempelfort) ausgetauscht zu werden, nicht zur großen Tragödie entwickeln. Aus der Argonauten-Sage wird ein Migrations-Drama. Sarrazin lässt grüßen: Szenenapplaus erhält Martin Molitor, der als König Kreon unter dem Deckmantel der selbsterklärten Toleranz Integration nur als Kosten-Nutzen-Rechnung sieht und dafür nach seinem (arg lang geratenen) Monolog auch noch den Bambi-Preis erhält.

Medea hingegen kommt zu kurz. Erst ist sie steif und unterkühlt. Später, als ihre Ehe auf der Kippe steht, preist sie sich — wie auf einem Laufsteg — in Hot Pants an, weil sie sich zumindest äußerlich anpassen will. Vergebens — der Reiz des Fremden währt immer nur so lange, wie andere dafür offen sind. Am Ende gibt es viel Beifall — vor allem für Maresa Lühle und Holger Kraft, der, ganz Profi, die Zähne zusammengebissen hat. Der Ensemble-Schauspieler hatte sich während der Generalprobe an den Füßen verletzt. Hätte es Dramaturgin Ulrike Olbrich nicht vor der Premiere verraten, hätte wohl niemand geahnt, dass am Samstag auch Schmerzmittel im Spiel waren.

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