Weltpremiere So gut klingt Wupper-Tull

Ian Anderson spielt in der Stadthalle mit dem Sinfonieorchester und der Kantorei Barmen-Gemarke.

Wuppertal. „Living in the Past“? Von wegen. Ian Anderson kommt zwar mit diesem alten Hit seiner Band Jethro Tull auf die Bühne, rockt frisch drauflos. Der Sänger, Komponist und Texter, der nie Flötenunterricht hatte, lässt keinen Zweifel daran, wer in der Stadthalle das musikalische Heft in der Hand hält. 120 schwarz gekleidete Musiker sind hinter ihm und seiner vierköpfigen Band versammelt — oben auf der Empore die Kantorei Barmen-Gemarke mit ihren Notenbüchern, unten das Sinfonieorchester in etwas kleinerer Besetzung.

Weltpremiere: So gut klingt Wupper-Tull
Foto: Andreas Fischer

Doch sie müssen warten. Anderson spielt zwei Songs vom Album „Homo Erraticus“ von 2014, „bevor wir das Orchester einladen, mit uns zu spielen“. Wie eh und je tippt der 67-Jährige mit der linken Ferse auf der rechten Kniescheibe den Takt, lässt seine Flöte jubeln und trillern, gurren und knurren, hat die kleine Akustik-Gitarre mit dem harten Klang immer zur Hand. Nach den hohen Gesangstönen muss sich der Brite ziemlich recken, aber das Timbre und die individuelle Atemtechnik bleiben unverwechselbar.

Ian Anderson in der Stadthalle
22 Bilder

Ian Anderson in der Stadthalle

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Doch Anderson hätte die Zuhörer gar nicht aufwärmen müssen. In der Stadthalle ist ein leicht angegrautes Publikum vorfreudig zum großen Wupper-Tull-Fest versammelt. Bap-Musiker Wolfgang Niedecken ist zwar Schirmherr der Veranstaltung, kann aber doch nicht kommen. Als Vertretung hat man Alan Bangs, einst Kult-Moderator im WDR-Rockpalast und -Hörfunk, als Moderator engagiert. Nett, ihn mal wieder zu sehen, aber diesen matten Vier-Minuten-Auftritt braucht man so dringend nicht.

Mit „Cheap Day return“ hat das Orchester seinen ersten Einsatz. Anderas Heimann (Oboe) und Andreas Baßler (Fagott) spielen mit Anderson auf der Bühne vor, gucken skeptisch, aber es klingt am Ende richtig gut. Auch der Flötistin Uta Linke ist vor ihrem Duett mit dem Rock-Kollegen offensichtlich nicht ganz wohl, doch „Griminelli’s Lament“ wird herzerweichend schön.

Wenn Pop mit Klassik vermengt wird, ist das Ergebnis oft ein steifer, süßlicher Bombast. Hier nicht. Die Sinfoniker sorgen zwar für streichersatte Klangfülle, lassen den Popsongs aber ihre Beweglichkeit und Frische — wobei Andersons Werke ohnehin einen Hang zur Opulenz haben. Das Zusammenspiel klappt durchgehend harmonisch, vom alten Klammerblues „Wond’ring Aloud“ über „Too Old To Rock And Roll“ (ironischerweise schon von 1977) bis zu den musikalisch verästelten Klassikern „Thick As A Brick“ und „Aqualung“. Zwischendurch zerschreddert Ian Andersons deutsches Bandmitglied Florian Opahle unter dem Jubel des Publikums auf seiner E-Gitarre Bachs d-Moll-Toccata.

Ein bisschen ins Hintertreffen gerät die Kantorei Barmen-Gemarke, deren Mitwirken den Konzerten doch erst zum Etikett „Weltpremiere“ verholfen hat. Schließlich sind es Andersons erste Auftritte mit großen Chor. Doch erstens hat sein Keyboarder John O’Hara die hinzukomponierten Chor-Sätze für die fünf gemeinsamen Songs ein wenig schlicht angelegt - bei Procol Harum hörte sich das vor zwei Jahren komplexer und dynamischer an. Und zweitens ist die Kantorei, die sich durch etliche Gastsänger verstärkt hat, zumindest am Freitag schlecht ausgesteuert und oft nur schwach zu hören.

Insgesamt ist der Sound aber großartig — man kann in der Musik baden, ohne dass sich der Gehörgang entzündet. Nach „Locomotive Breath" als knapper Zugabe hallt dieser prächtige Abend also ausnahmslos angenehm nach.

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