Tanz an die Spitze: Vom Kontakthof zur Folkwangschule

Für Safet Mistele (17) war Tanz nur Hip-Hop. Bis er 2007 Pina Bausch traf. Sie öffnete für den ehemaligen Hauptschule die Tür in eine neue Welt.

Wuppertal. "Jungs tanzen Hip-Hop". Es ist nicht lange her, da vertrat Safet Mistele diese Haltung. "Ich war damals 14 und hatte Scheuklappen auf", sagt der 17-Jährige. Dass er heute Tanzschüler an der Essener Folkwangschule ist, hat er vor allem einer Frau zu verdanken: Pina Bausch.

Für Sportkurse oder Unterricht hatte Safets Familie kein Geld. "Meine Ausbildung habe ich auf der Straße gemacht", sagt er. Dort sog er alles auf, was er bekam. Schlich seinem großen Bruder heimlich hinterher, um ihm beim Tanzen zu beobachten, sich Schritte abzuschauen.

Durch einen Zufall landete der damalige Schüler der Hauptschule Hügelstraße beim Vortanzen für das Projekt "Kontakthof für Jugendliche" von Pina Bausch - allerdings im Glauben, er würde dort Hip-Hop tanzen. Wer Pina Bausch ist, wusste er damals nicht. Nach anfänglichem Widerstand ließ sich der Schüler auf das Experiment ein, sah erstmals ein Stück von Pina Bausch ("Vollmond") und war beeindruckt. "Ich hatte Pippi in den Augen und wusste ,das will ich auch’."

Zusammen mit Schülerinnen und Schülern von Gymnasien etabliert sich der Hauptschüler, der sich selbst "Zigeuner" nennt, in der "Kontakthof"-Kompanie. Leute, mit denen er nie ein Wort gewechselt hätte, wurden dabei zu Freunden. "Dafür werde ich dieser Frau ein Leben lang dankbar sein, sagt Safet und meint Pina Bausch. Tief berührt hat ihn die Tanz-Ikone, ihm eine Tür in eine ganz neue Welt aufgestoßen. "Die Frau hatte Größe. Sie musste dich nur ansehen, da hatte man das Gefühl, sie versteht alles."

Safet tanzt also bei "Kontakthof", ist Gast auf Premieren, kleiner Star von Anne Linsels Film "Tanzträume", schreitet über den Roten Teppich der Berlinale, reist erstmals um die Welt. Dann stirbt Pina Bausch im Juni 2009. Für Safet ein herber Verlust. "Ich konnte mich nie bei ihr bedanken", sagt der 17-Jährige leise.

Der junge Tänzer suchte nach einem anderen Draht zu seiner Mentorin und stößt auf die olkwangschule (s. Kasten oben). Er will dort studieren, unbedingt. Parallel zu seinem Schulabschluss probt er im Sommer dieses Jahres für die Aufnahmeprüfung. Er, der nie eine klassische Ausbildung absolviert hat, muss sich gegen 300 Mitbewerber durchsetzen. Als er vor dem entscheidenden Vortanzen steht, korrigiert Malou Airaudo, Tänzerin des Wuppertaler Tanztheaters und Lehrerin an der Folkwangschule, Safets Kopfhaltung. "Schau nach oben, schau zu Pina."

Diese Worte treffen den ebenso ehrgeizigen wie charmanten jungen Mann. Und sie erfüllen ihren Zweck. Wenige Wochen später liest Safet seinen Namen auf der Liste der Schüler, die aufgenommen wurden. Für seine Familie ist er jetzt "der Student", für viele Hauptschüler, einer, der es geschafft hat. Und auch er selbst ist zufrieden. "Ja, ich bin eine ganze Ecke stolz auf mich."

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