Als die neue Autobahn Sonnborn teilte

65 Gebäude mussten dem damals modernsten Verkehrskreuz Europas weichen.

Wuppertal. Gegenüber der imposanten Hauptkirche hat ein Mann die Hosen heruntergelassen und es sich auf dem Klo gemütlich gemacht. Der Einblick ins pralle Leben ist Teil eines Werbe-Wandgemäldes, mit dem Sonnborn seine Besucher empfängt. Wenn schon, denn schon, scheint sich der gebeutelte Stadtteil zu sagen. Wer der Hauptgeschäftsstraße folgt, über sich das lastende Gerüst der Schwebebahn, erfährt am Ende, wo es wirklich pressiert: Die Sonnborner Straße, die einst nahtlos in die Vohwinkeler Kaiserstraße überging, endet jäh an einer Wand. Der Anblick erinnert an Kreuzberg zu DDR-Zeiten, ist aber hausgemacht. Kräftiger Motorenlärm verrät, welches Diktat hier für die geteilte Stadt sorgte.

Die Würfel zu diesem großen Coup, dem Bau der A 46 mit dem gigantischen Sonnborner Kreuz, fielen in den ersten Nachkriegsjahren. Wuppertal besaß Anschluss an die A 1 und damit an seine wichtigen östlichen Absatzmärkte. In die Düsseldorfer Region aber gelangte man nur über eine schmale Bundesstraße, die B 228 mit mehreren Ortsdurchfahrten.

Zur Entlastung der Städte Hilden und Haan sollte eine Umgehungsstraße entstehen. Für ihren Verlauf bot sich ein nicht kartierter Feldweg an. Erst als 1953 die Bauarbeiten bei Hilden begannen, setzte sich die Auffassung durch, man solle die neue Straße — bislang als Bundesstraße projektiert — bis Vohwinkel fortführen. 1957 dort angelangt, war bereits vom Anschluss an die A 1 und einer Autobahn die Rede. Sie startete als A 201 und erhielt in den 70ern die heute geläufige Nummer 46.

Eine Autobahn mitten durch Wuppertal, ein 19,5 Kilometer langes Großmaul! Wer heute einen solchen Plan verkünden würde, dürfte den Hut nehmen. Doch damals ergötzte man sich an der „autogerechten Stadt“ und sah ein, dass die Talachse einer nahe gelegenen Ausweichstrecke bedurfte.

Proteste gab es, aber die Stimmen der Wenigen waren zu schwach. Im Mai 1963 begannen im Osten Wuppertals die Bauarbeiten. Fünf Jahre und einen Monat später kratzten Bagger erstmals am neuralgischen Punkt in Sonnborn.

Ein Haupt- und drei Nebenknoten inmitten eines belebten Stadtteils und über ein topographisch schwieriges Gelände führend — so lässt sich knapp zusammenfassen, was die Planer leisteten. Dabei mussten sie mehrere kreuzende Verkehrsbänder durch Umbau integrieren, die Wupper auf einer Länge von 1950 Metern absenken, die B 228 auf neuer Trasse an Sonnborn vorbeiführen, die viergleisige Bahnstrecke über die Autobahn leiten und die Schwebebahn auf einer Länge von 485 Metern um 2,20 Meter anheben, damit sie über das Kreuz hinweg bis Vohwinkel gelangen konnte.

Das „Wuppertaler Millionending“, ein 2,5 Kilometer langes Durcheinander mit teils 13 Spuren, das zur Orientierung eine nächtliche Beleuchtung mit 656 Natriumdampfstrahlern erhielt, wurde am 16. Mai 1974 seiner Bestimmung übergeben. Zurück blieb ein zerpflügtes Sonnborn. 65 überwiegend historische Gebäude und 2000 Bewohner wichen dem damals modernsten Verkehrskreuz Europas. Es gab Sonnborn eine neue, nicht gerade reizvolle Identität.

Der nächtlichen Beleuchtung des Kreuzes wurde im Herbst 2010 der Garaus gemacht. Studien hatten ergeben, dass die Dunkelheit keine erhöhte Unfallgefahr birgt. Um Lichtverschmutzung zu vermeiden und die Stadt als Kostenträger finanziell zu entlasten, wurden die Lichter dauerhaft ausgeschaltet.

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