Wuppertaler Spitznamen: Rapunzels Turm an der Königshöhe

Der Von-der-Heydt-Turm könnte auch ein Märchenschauplatz sein. Wohl deshalb heißt er „Rapunzelturm“.

Kiesberg. Valerianella locusta - der bergischen Mentalität stünde es nicht gut zu Gesicht, wenn sie ein Wuppertaler Bauwerk mit so einem sperrigen Namen belegen würde. Rapunzel klingt da viel gefälliger. So heißt landläufig der Gewöhnliche Feldsalat und nach ihm eine Märchengestalt der Brüder Grimm. Auch ein Wuppertaler Turm trägt inoffiziell diesen Namen.

Rapunzels Mutter hatte in der Schwangerschaft Heißhunger auf Feldsalat. Ihr Mann wusste Rat und beschaffte das Gemüse in einem fremden Garten. Doch die Besitzerin verstand sich auf Zauberei und zwang den Dieb, ihr zur Strafe seine Tochter Rapunzel zu überlassen. Die Geschichte um das unglückliche Mädchen ist lang und so verwickelt, dass ein jeder sie schnell vergisst. Einzig geläufig ist der Turm, von dem Rapunzel ihr Haar herunterließ, um der Zauberin und später einem Königssohn den Zugang zu ihrem Gefängnis zu ermöglichen.

Der Rapunzelturm weckt Bilder des Verwunschenen schlechthin. So mancher Turm in Wuppertal besäße die Qualitäten eines solchen Märchenschauplatzes, doch nur einem verlieh der Volksmund Rapunzels Namen: dem Von-der-Heydt-Turm auf der Königshöhe (Kiesberg).

Da staunt so mancher Kenner der Materie, dem zunächst der Weyerbuschturm auf der Kaiserhöhe (dem Nützenberg) als plausibleres Rapunzel-Gefängnis einfallen würde. Tatsächlich sind beide Türme einander nicht nur äußerlich verwandt. 1892 hatte der Elberfelder Bankier August Freiherr von der Heydt 10.000 Mark gestiftet, mit denen in der Nähe seines Sommerhauses ein Aussichtsturm errichtet werden sollte. Zum Startkapital des Stifters mussten die Bürger noch ein wenig zulegen, damit auf 274 Meter über Normalnull wirklich dieser Turm entstehen konnte.

"Von allen Bergen drücken Nebel auf die Stadt; es dringt kein Dach, nicht Hof noch Haus, kein Laut aus ihrem Rauch heraus, kaum Türme noch und Brücken." So dichtete Richard Dehmel 1896, vier Jahre nach Fertigstellung des Turms, bei einer Wanderung auf die Königshöhe.

Beim Blick hinüber zur Kaiserhöhe entdeckte er tatsächlich keinen Turm, bestenfalls jenes Klappergestell aus Holz, das damals dort stand. Stadtrat Emil Weyerbusch trug sich aber bereits mit dem Gedanken, auf dem Nützenberg ein Pendant zum Rapunzelturm zu errichten - in ähnlicher Weise durch Stiftungen finanziert und ebenfalls märchenhaft nach neogotischer Manier gestaltet. Nur an Höhe sollte der Weyerbusch- den Von-der-Heydt-Turm übertreffen: 25 statt 20 Meter und obendrein auf den höheren Berg (295 Meter) gestellt. Am 1. November 1898 war das Bauwerk fertig, standen sich die beiden Rapunzeltürme brüderlich gegenüber. Sie teilten schließlich auch das Schicksal, von späteren Generationen vernachlässigt zu werden und zu verfallen.

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