Als auf der Rheinischen Strecke noch die Züge rollten

Seit 130 Jahren gibt es die Trasse. Ein Zeitzeuge erinnert sich am Rande der Ausstellung an den Bahnhof Heubruch.

Barmen. Barmen im Jahr 1933: Noch vor Schulbeginn füttert Rudolf Müller die Hühner im Stall. Die Ausbeute an diesem Morgen ist mager: Nur ein Ei findet er im Nest. Schnaufend schleppt sich in der Ferne eine Dampflok eine Steigung der Rheinischen Strecke hinauf. Ein vertrautes Geräusch für den Siebenjährigen: Schließlich fährt alle 20 Minuten ein Zug ein - in sein Zuhause, den Bahnhof Heubruch. Den Fahrplan der Züge kennt der Spross des Bahnhofvorstehers auswendig.

Die Erinnerung seiner Kindheit hat der heute 83-jährige Rudolf Müller den Mitgliedern der Wuppertalbewegung anvertraut. Er ist einer von wenigen Zeitzeugen, der sich noch an die Glanzzeit des Bahnhofs, in der fast minütlich Züge über die Gleise der Rheinischen Strecke rollten, erinnert. Von 1933 bis 1943 wohnte er mit seinen Eltern und dem älteren Bruder im Bahnhofvorsteher-Häuschen - bis zu dem Tag, an dem der Bahnhof den Bomben zum Opfer fiel.

Aus dem Gedächtnis hat er den Grundriss des Bahnhofgeländes gezeichnet, woraufhin ein Modell erstellt wurde. Das und weitere Exponate, Dokumente und Berichte präsentierte die Wuppertalbewegung bei der Ausstellung "130 Jahre Rheinische Strecke". Und das an einem Ort, der von historischer Bedeutung für die Bahnstrecke ist: im Gebäude der ehemaligen Konsumgenossenschaft "Vorwärts" an der Münzstraße. Dort, wo einst Güterzüge über einen unterirdischen Eisenbahnanschluss direkt ins Lager einfuhren.

Lautes Scheppern der einfahrenden Züge, schrille Pfiffe und die Rufe der Arbeiter, die sich mit dem Klacken der Webstühle der Firma Vorwerk auf der dem Bahnhof gegenüberliegenden Straßenseite mischten - an diese Lärmkulisse musste sich der gebürtige Mettmanner als Kind erst gewöhnen. "Später habe ich die Geräusche gar nicht mehr wahrgenommen", erinnert sich Rudolf Müller. Hinter dem Bahnhofsgebäude lag ein Garten. Dessen Pflege war die Aufgabe der beiden Söhne. "Ich schulterte den Spaten und bestellte Kartoffeln", so Müller. Währenddessen sorgte Vater Georg dafür, dass der Bahnverkehr in geregelten Bahnen lief. An das Verbot des Vaters, nicht an den Gleisen zu spielen, hielt er sich eisern.

Täglich machten Viehtransporte am Heubrucher Bahnhof Halt. Schweine quiekten, Rinder traten nervös gegen den Waggon, kurz bevor ihr Leben im Schlachthof Barmen enden sollte.

Vernarrt war der Siebenjährige Rudolf Müller in die so genannten Klappwagen, die den in der Region abgebauten Kalk ins Ruhrgebiet transportierten. "Der Kalk durfte im Regen nicht nass werden, sonst hätte er zu brennen angefangen", berichtet Müller.

Die Kindheit zwischen Dampfloks und Waggons hat den heute 83-Jährigen geprägt. Nach dem Krieg trat er in die Fußstapfen seines Vaters: Er arbeitete bei der Bahn. Reich an Abenteuern war die Arbeitszeit bei der Bahn bis zur Pensionierung. "Die Fahrkartenautomaten der Bahn kann ich bis heute nicht bedienen", gesteht Müller - die standen zu Zeiten seines Vaters, des Bahnhofsvorstehers, ja auch noch nicht an den Gleisen.

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