An Pina Bauschs Erbe soll die ganze Welt teilhaben

Salomon Bausch möchte den Nachlass seiner Mutter lebendig halten — und bekennt sich zu Wuppertal.

Herr Bausch, Sie haben im August 2009 die Pina Bausch Stiftung gegründet. Ihre Frau, Nataly Walter, ist die Geschäftsführerin. Was ist Ihr gemeinsames Anliegen?

Salomon Bausch: Die Stiftung war ein Wunsch meiner Mutter. Überlegungen dazu waren schon relativ konkret, zur Umsetzung ist sie aber nicht mehr gekommen. Als sie starb, war klar, was zu tun ist. Ein Hauptanliegen ist der Aufbau eines lebendigen Archivs.

Wie ist der Stand der Dinge?

Bausch: Wir sind dabei, den umfassenden Bestand zu erschließen und zu sortieren. Es ist wunderbar, dass wir auf eine gute Basis zurückgreifen können: Meine Mutter hat natürlich zu allen Stücken Materialien aufgehoben — übrigens sehr vollständig und gut sortiert. Sie hat auch bestimmt, welche Tänzer oder Mitarbeiter sich speziell um welche Produktion kümmern sollen und eine Struktur für das Archiv festgelegt. Es ist sehr wertvoll für uns, dass wir ein Team mit präzisem Wissen haben. Die Mitarbeiter des Tanztheaters wissen, was sie in der Hand haben, wie gearbeitet wurde und was dahintersteckt.

Dann arbeiten Sie also Hand in Hand mit dem Tanztheater?

Bausch: Ja, das Wissen der Tänzer und Mitarbeiter ist ein großer Schatz. Die ganzen Materialien wären sonst nur halb so viel wert. Der künstlerische Nachlass meiner Mutter ist so reich — da gibt es so viel weiterzugeben.

Frau Walter, Sie und Ihr Team sind so etwas wie Pioniere: Ein wichtiges Ziel der Stiftung ist der Aufbau eines Archivs. Gibt es ein vergleichbares Tanzarchiv, auf dessen Erfahrung Sie aufbauen können?

Nataly Walter: Wir kennen keines. Es ist aber spannend, sich da heranzutasten und die Spuren, die wir finden, zusammenzutragen. Es geht Schritt für Schritt voran. Keiner kann uns genau sagen, wie es geht. Aber wir sind in Kontakt mit verschiedenen Experten — nicht nur aus dem Bereich Archiv. Auch mit anderen Companys gibt es einen Austausch. Input von außen ist wichtig — trotzdem können wir den Weg für unser Archiv nur selbst finden. Wir haben es mit einer sehr speziellen Materie zu tun. Bausch: Ja, die meisten Archive — auch aus den darstellenden Künsten — sind ganz anders gestrickt. Das hat mit der Arbeitsweise des Tanztheaters zu tun. Archivare würden zum Beispiel die Kostüme am liebsten einlagern. Das geht natürlich nicht, weil fast alle Stücke noch gespielt werden. Wir haben es mit Arbeitsmaterial zu tun. Außerdem gibt es keinen Text oder Ähnliches als Grundlage. Die Stücke sind ein Live-Erlebnis auf der Bühne, und wir können nur die Spuren sammeln. Deshalb ist es wichtig, dass das Tanztheater die Stücke lebendig hält — parallel zu dem, was wir tun. Das Archiv ergänzt und unterstützt das, was auf der Bühne passiert — und umgekehrt.

Was Wuppertaler am meisten interessiert, ist sicherlich die Frage nach dem Standort des Archivs.

Bausch: Wuppertal hat immer eine bedeutende Rolle für die Arbeit meiner Mutter gespielt. Trotz aller Schwierigkeiten, die es gab, ist sie hier geblieben. Es ist schön, hier zu sein. Deshalb soll die Basis des Archivs auch in Wuppertal sein — was aber nicht heißt, dass wir unser Wissen nicht weltweit teilen können. Es soll ein digitales Archiv entstehen und wir wollen auch den Tänzern die Möglichkeit bieten, ihr Wissen und ihre Erfahrungen zum Beispiel in Workshops weiterzugeben — und das kann auf der ganzen Welt stattfinden. Wir wollen ein Forum bieten. Die Stiftung soll eine Plattform sein, auf der neue Dinge entstehen können.

Die Nachfrage ist ja auch ungebrochen: So viele Gastspiele wie in dieser Saison hat das Tanztheater nie zuvor gegeben.

Bausch: Ja, das weltweite Interesse an der Compagnie ist irre.

Mit was für Materialien haben Sie es zu tun? Sie erwähnten schon die Kostüme.

Walter: Zu den Kostümen sammeln wir viele Informationen und schießen professionelle Fotos. Auch die Bühnenbilder werden sehr genau beschrieben. Es ist wichtig, dass die beiden dahinterstehenden Künstler — Marion Cito für die Kostüme und Peter Pabst für die Bühnenbilder — diese Arbeiten leiten. Aber es gibt natürlich noch viel mehr Materialien. Zum Beispiel zur Musik und zum Licht. Das macht es sehr vielfältig und kann viele Leute ansprechen: Kinder, Wissenschaftler, Tänzer — eigentlich alle.

In welchem Zeitraum denken Sie?

Bausch: Wir nehmen uns die nötige Zeit. Wir denken eher in Jahrzehnten als in Monaten. Wir möchten die Dinge sorgfältig zusammentragen und für die Zukunft bewahren — damit die Menschen auch in 100 Jahren noch etwas davon haben. Natürlich wird nicht alles öffentlich zugänglich sein. Privates soll am Ende auch privat bleiben. Die nächsten zweieinhalb Jahre werden sehr intensiv werden. In dieser Zeit wollen wir sehr viel schaffen.

Was hat derzeit Priorität?

Bausch: Wir sind dabei, 7500 Videos zu sichten. Viele denken, ein Archiv besteht darin, dass man alles aufbewahrt. Es bedeutet aber auch, dass man sorgfältig aussortieren muss. Der inhaltliche, künstlerische Part wird vom Tanztheater abgedeckt. Wir lassen die Videobänder digitalisieren, die Tänzer sichten sie. Die ältesten Videobänder sind sogenannte open-reels — die Bänder sind auf offenen Spulen.

Kennen Sie sich damit denn technisch aus?

Bausch: Wir arbeiten mit einem Spezialunternehmen in Köln zusammen. Die Bänder werden dort gereinigt und — wenn nötig — in einem speziellen Ofen gebacken, um sie wieder abspielbar zu machen. Das Tolle ist, dass die Sachen gut erhalten sind, nun wollen wir die beste Qualität herausholen, aber ohne die spezielle Ästhetik des Materials zu verfälschen. Wir haben im Tanztheater auch ein eigenes Studio eingerichtet, um die große Masse der neueren Bänder selbst zu digitalisieren.

Haben Sie ein Lieblingsstück?

Bausch: Das Interessante ist, dass es sich immer ändert.

Walter: Das stimmt. An einem Abend finde ich bestimmte Szenen ganz stark — doch schon beim nächsten Mal berührt mich wieder anderes. Wir freuen uns jedenfalls auf London 2012.

Sie meinen die Gastspiele im Rahmen der Olympischen Spiele?

Bausch: Ja, wir sind sehr gespannt, zehn Stücke so nah hintereinander zu sehen.

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