Critical Mass: Wenn Dutzende Radfahrer als ein Fahrzeug gelten

Monatlich treffen sich zahlreiche Radfahrer zur gemeinsamen Fahrt durch die Stadt — als „Critical Mass“.

Critical Mass: Wenn Dutzende Radfahrer als ein Fahrzeug gelten
Foto: Gerhard Bartsch

Wuppertal. Da staunen Autofahrer und Fußgänger nicht schlecht, als eine fröhliche Horde Radfahrer laut klingelnd an ihnen vorbeizieht: Unzählige Menschen auf Rennrädern, Mountainbikes, Tandems, Liegerädern und Pedelecs. Unter ihnen Michael (47), Cellospieler auf dem Weg zur Orchesterprobe. „Ich habe mein Auto vor zwei Jahren abgeschafft. Seitdem mache ich fast alles mit dem Rad“, erzählt er. Immerhin fahre er elektrisch verstärkt. „Ohne Cello auch bergab, mit Cello werde ich einfach zu schnell“, sagt er und lacht.

Radfahren in Wuppertal? Nicht jeder kann sich vorstellen, dass dies fernab von Nordbahn- oder Sambatrasse Spaß macht. Noch absurder die Vorstellung, den Drahtesel als Verkehrsmittel zu nutzten. Einzeln werden Fahrräder im Straßenverkehr kaum wahrgenommen, einmal im Monat aber trifft sich die „Kritische Masse“ an der Kluse zu einer gemeinsamen Fahrt durch die Stadt - und erregt Aufmerksamkeit.

Das ist das Ziel der Aktion: auf Radfahrer als Verkehrsteilnehmer aufmerksam machen. Die Bewegung „Critical Mass“ (CM) begann in den USA. In Berlin radelte man erstmals 1997 gemeinsam durch die Stadt. Die erste unter CM firmierende Aktion fand 1992 in San Francisco statt.

Zur Critical-Mass-Aktion kommen sogar Düsseldorfer ins Tal. Zum Beispiel Jakob. Mit einem handelsüblichen Verstärker, aus dem das Lied „Happy Birthday“ schallt, auf dem Gepäckträger, fährt er an der Kluse vor. „Heute gibt es die Aktion seit zwei Jahren“, sagt der 18-Jährige.

Bevor es im Verband losgeht, ist Durchzählen angesagt, und das ist meist ein Grund zur Freude. Dass die „kritische Masse“ von 15 Teilnehmern erreicht ist, ist nicht zu übersehen, aber fällt der bisherige Rekord von 77 Teilnehmern an diesem Tag? Ja: Zum zweiten Geburtstag der kritischen Masse sind 126 Radler gekommen. Jubel brandet auf, dann geht es los. „Die Wuppertaler sind immer zwei bis drei Stunden unterwegs“, sagt Jakob. In Düsseldorf gebe es die CM noch nicht so lange.

Vielleicht ist das Tal ja doch eine heimliche Fahrradhauptstadt. Auf jeden Fall sind alle 126 Radler mit Enthusiasmus dabei. Die Geschwindigkeit ist nicht zu hoch, im Durchschnitt 15 Kilometer pro Stunde. Da wird getöttert und gescherzt. Wenn eine Ampel auf Rot springt, dürfen alle Radler die Kreuzung noch überqueren, denn der Verband gilt als ein Fahrzeug. Einige erfahrene Mitradler stellen sich vorsichtshalber in die Seitenstraßen, damit auch wirklich jeder Autofahrer Bescheid weiß und es nicht zu Unfällen kommt.

Kreuz und quer geht es durch die Stadt, bergauf, bergab. Einen Plan gibt es nicht, auch keinen Organisator. Das ist der Grundgedanke der Bewegung: Critical-Mass-Aktionen entstehen, wenn eine Person Ort und Zeitpunkt festlegt und via Internet, Plakat oder Mundpropaganda zu einer gemeinsamen Fahrt aufruft. Wenn sich darauf genügend Menschen einfinden, findet die CM statt. In Wuppertal am Freitag, 6. Juni.

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